Hans-Joachim Heyer

68-90

Wer bin ich?

Nicht Wissenschaftler
Bin ich.
Zu groß ist das Subjekt,
Das Unerforschliche,
Mir.

Nicht Philosoph
Bin ich.
Zu tot ist jede Theorie,
Der Irrtum,
Mir.

Nicht Schriftsteller
Bin ich.
Zu geschwätzig sind dicke Bücher,
das Wirrnis,
Mir.

Nicht Dichter
Bin ich.
Zu schwer ist ihre Sprache,
Die Verdunkelnde,
Mir.

ICH BIN DER VERSUCHER
Von Leben und Tod,
Vorwegnehmend die Zukunft,
Wissen will ich,
Wie auf der Erde
Menschliches Leben
Noch möglich sein kann.


Kampf der Wahrheiten

Wer nur glaubt, was Augen sehn,
Bleibt im Geist beim Sinne stehn.
Willst du wissen mehr vom Leben,
Mußt du Übersinnliches anstreben.

Dieses ist – du glaubst es kaum –
Gedankenbildnis und der Traum.
Träumedeuten wird ja nicht gelehrt,
Weil es Mächte zu sehr stört.

Diese wolln dich geistig amputieren;
Drum mit Macht sie dich verführen,
Dass du leugnest deine Wahrheit;
Trau den Mächten nicht ein Haarbreit!

Glaub nicht, was die Augen sehn;
Laß mal Deutung abseits stehn.
Denke selbst, mein lieber Freund;
Denken ist Tyrannen feind.


Radler-Latein

Das Radfahrn wird erst intressant,
Wenn du die Wahrheit hast erkannt,
Dass du selbst dein Maßstab bist,
An dem du deine Leistung misst.

Sich selbst verbessern ist das Ziel;
Denn alles andere bringt nicht viel!
Der stete Kampf mit Gleichgesinnten
Zerstört dein körperlich Befinden!

Hörst du auf deines Körpers Zeichen,
Und nicht auf die von Deinesgleichen,
Dann baun sich auf harmonisch Kräfte,
Die leisten so das Allerbeste.


Der junge Pelikan

Der junge Pelikan,
Im Spiegel des salzigen Sees,
Ernährt vom Leben der Tiefe,
Suchend sein Nest aus den Höhen der Lüfte,
Stößt von sich,
Was ihn verstoßen,
Mit Stolzer Kraft,
Wissend,
Daß er alles,
Verdankt seinem Ahnen.
Und reif,
Voller Liebe,
Kehrt er zu seinem
Ursprung zurück.
Ohne verletzt zu haben,
Ohne verletzt zu sein,
Kann er nicht
Ganz werden.


WAHL-LOS

Ich hab mich dem Geflechte der
Gesellschaft entzogen,
Bin doch mit dem Geschlechte der
Menschheit verwoben.
Ich bin der Beschränkung des
Berufes entronnen
Und hab die Gefahren der
Freiheit gewonnen.
Ich hab mich dem gewagten
Versuch übergeben,
Ob geistiges Wachstum
Erleichtert das Leben.
Es wurde ja bisher
Immer gelobt,
Dass Anpassung, Gehorsamkeit,
Verzicht seien erprobt.
Doch da ich erkranke,
Wenn ich verzichte,
Wenn ich zu viele
Talente vernichte,
Bleibt mir zu tun nichts
Anderes übrig,
Als anders zu denken und
Handeln, als üblich!


SCHREIBEN

Im Geist
Schreib ich fest neue Gesetze,
Schaff Wahrheit,
Gebe Gestalt dem Schicksal.
Nicht Selbsterkenntnis,
Doch Selbstschöpfung
Ist möglich dem Geist.
Träume zeigen Gelingen;
Zufälle draußen auch.


Regel und Ausnahme

Das Auffällige
Sieht jeder,
Nicht aber
Das Allgegenwärtige.
Denken ist Vergleichen ihm.
Dem Weisen
Zeigt sich die Regel,
Wo er Ausnahme ist.
Denken ist Verdingen ihm.


Alt und Neu

Denken in den alten Bahnen
Bringt nichts Neues in die Welt,
Ist nur Schöpfer großer Zahlen;
Nur Extremes ihm gefällt!

Alles, was sich lässt beweisen,
Was gehört zur Wissenschaft,
Ist gedacht in alten Kreisen;
Teuflisches wird so gemacht!

Neues Denken nie gewesen,
Löst stets auf ein altes Gut,
Ist in Büchern nie zu lesen,
Bringt Gelehrte sehr in Wut!

Neues Denken – neues Leben;
Beides ist identisch und
Läßt das Leben höher streben:
Gottes Schicksal tut sich kund!


Ungeheure Wissenschaft

Du dunkles Ungeheuer
mit deinen sieben Schlangenhälsen,
den sieben Köpfen und
gespaltenen Zungen!

Mich kriegst du nicht,
du Menschenverächter, Kriechtier,
du Hure, verantwortungslose,
hast dich dem Teufel an den Hals geworfen!

Teufelswerkzeug, blindes, armseliges!

Deine gespaltene Zunge
im Kopfe Physik –
Erkenntnis der Welt
verspricht sie lauttönend,
doch ich höre sie flüstern
von Phantomen, Masken und Trugbildern!

Deine gespaltene Zunge
im Kopf Technologie –
Bequemlichkeit
verspricht sie lauttönend,
doch ich höre sie flüstern
von Erbschleicherei und Meuchelmord!

Deine gespaltene Zunge
im Kopfe Chemie –
volle Bäuche
verspricht sie lauttönend,
doch ich höre sie flüstern
von Arbeitern, Soldaten und Gift!

Deine gespaltene Zunge
im Kopf Astronomie –
unendliche Räume und Zukunft
verspricht sie lauttönend,
doch ich höre sie flüstern
dass wir im All sie nicht haben können!

Deine gespaltene Zunge
im Kopf Psychologie –
das Heil der Seele
verspricht sie lauttönend,
doch ich höre sie flüstern
irre von Gleichmacherei!

Deine gespaltene Zunge
im Kopf Biologie
künstliches Leben im Dienste der Menschheit
verspricht sie lauttönend,
doch ich höre sie flüstern
vom Zerreißen der Lebensfäden!

Deine gespaltene Zunge
Im Kopf Medizin –
Gesundheit
Verspricht sie lauttönend,
doch ich höre sie flüstern
vom Vergessen-machen des Gesunden!

Mich kriegst du nicht,
du dunkles Ungeheuer;
meinem Lichte
bist du nicht dunkel genug!
Zu gierig verfolgtest du meine Bewegungen,
zu nah ließ ich dich kommen heran,
verknotet sind nun deine sieben Hälse,
unentwirrbar, ein Chaos, wahrhaftig!

Du hast dich selbst gefangen,
schreckliches Untier!
Du solltest keine Hälse wachsen lassen –
selber wachsen solltest du!
Erkenne deinen Irrtum!
Sei dankbar:
Hat dich der Knoten
Nicht größer schon gemacht?
Scher dich fort, Blutsauger,
Alles Einmalige
ist keine Beute für dich!