Nach Beendigung der Lektüre des Buches „Du mußt dein Leben ändern“ von Peter Sloterdijk möchte ich Bilanz ziehen. Es ist sprachlich virtuos gleichwie Friedrich Nietzsches Werk, an das Sloterdijk philosophisch anknüpft, aber es gibt meines Ermessens ein großes Defizit seiner Philosophie, das ich hier nun zu erklären versuchen werde.
Es geht – wie die vorangehenden Teile meiner Buchbesprechung schon aufzeigen, um die „Vertikalspannung“ im menschlichen Bewusstsein, die die Energie zum Handeln und Denken liefert. Um auch nur einen einzigen Gedanken zu denken oder auch nur einen Finger krummzumachen, ist ein Antrieb, ein Motiv, ein Wollen, ein Energieaufwand, nötig. Fehlt diese Energie, bleibt der Mensch passiv und sieht keinen Anlass, sich vom Sessel zu erheben und tätig zu werden.
Eine Ausnahme sind natürlich die Instinkte, wie wir sie an unseren Haustieren beobachten können: Sie werden aktiv, wenn der Hunger oder eine andere instinktive Lust sie treibt. Sloterdijk hat nicht explizit über Instinkte geschrieben, aber ich versuche, seine Philosophie mit meinen Worten wiederzugeben. Das instinktgetriebene Tun zählt für Sloterdijk noch zum passiven Leben, zum Gelebtwerden – vermute ich, denn das Tier will nicht über sich selbst hinaus; es will sich bloß erhalten.
Spannend wird das Leben erst, wenn es über seinen Ist-Zustand zum „Unmöglichen“ hinaus will, und hierzu ist nur der Mensch fähig. Allerdings nur eine Minderheit! Die Welt ist der Bereich des Möglichen. Der normal lebende Mensch ist ein Gewohnheitstier, das die bekannte Welt nicht verändern oder verbessern will, sondern sich ihr anpassen will. Die Außenwelt ist allzu dominant und der Mensch allzu klein, als dass er auf die Idee kommen könnte, sie nach seinem Willen umzugestalten.
Sloterdijk vergleicht diese Haltung mit dem Schwimmen im Strom. Dann aber hebt er ab auf antike Menschen, die den Strom verließen, sich ans Ufer setzten und das Fließen des Stromes als externe Beobachter beschrieben. S. benutze hier das Wort „Sezession“, die Abspaltung von der Welt, um das Unmögliche zu tun.
Hilfsmittel der Sezession waren Philosophenschulen, abgelegene Klöster, Religionsgemeinschaften, Querdenker und so weiter. Diese Menschen, beziehungsweise Menschengruppen, verband die Überzeugung, es gebe eine jenseitige bessere Welt, ein außerweltliches Ziel, zB Gott, das man mittels Änderung des Bewusstseins erreichen könne. Dieses Ziel, diese Utopie, generierte in den betreffenden Menschen die „Vertikalspannung“, diese psychische Energie, die letztendlich vorbildhaft neue Gewohnheiten in einem Volk erzeugte, die dann schließlich zur Hochkultur führten.
Sloterdijk entlarvte jegliche Vertikalspannungen, die aus der Welt hinausführten, zu denen auch alle Religionen zählen, als Illusionen, wenn auch als wirksame, zum Teil erfolgreiche, Illusionen. Immerhin führten sie zu Hochkulturen.
Wenn alle bisherigen Vertikalspannungen auf Illusionen beruhen, so fragte Sloterdijk sich, – woher bezieht dann der Mensch wirklich sein Motiv der Höherentwicklung? Die Vertikalspannung, dieser „Draht nach oben“, dieses Wollen des „Unmöglichen“, kann nur dann real sein, wenn nicht länger das Unmögliche erstrebt wird, sondern im Möglichen bleibt.
Ich verwende, um Sloterdijks Philosophie zu veranschaulichen, für den Materialismus, also der Welt des Möglichen, das Gleichnis der „horizontalen“ Flacherde, und die Wesen, die die Flacherde bewohnen, Flachmenschen. Für diese Menschen gibt es keine dritte Dimension, keine „Vertikale“; sie können nicht nach Fortschritt streben; ihr Denken und Handeln können immer nur in die Breite gehen.
Nun gibt es jedoch diese Künstler, Athleten, Akrobaten, Seiltänzer (nach Nietzsches „Also sprach Zarathustra“), indische Gurus, Kirchenheilige und Philosophen, die die dritte Dimension entdeckt zu haben glauben und sich einem Ikarus gleich erheben wollen, hin zum Göttlichen. Was ist diesen Ausnahmemenschen „oben“? Sloterdijk untersucht dieses Wort und kommt – so mein Buchverständnis – zum Ergebnis, das „oben“ ist ein eingebildetes „oben“ und ist trotzdem wirksam. Immerhin führte es zu den Hochkulturen.
Ab Seite 428 versucht Sloterdijk, die „Basisparadoxie der Hochkultur“ darzustellen. Er meint, sie entstehe aus „akrobatischen Exzessen“, „einer chronischen Höhenkrankheit“, eine „pathogene Spannung“, und die Seele, also das Innere des Menschen“ generiere sich aus einer „chronischen Entzündung der Selbstwahrnehmung“. Durch Verwandlung des Unglaublichen ins Vorbildliche entstehe daraus dann die Hochkultur. Ich markierte all diese Stellen mit dicken Fragezeichen.
Auf Seite 463 zieht Professor Dr. Sloterdijk über Professoren, Lehrer und Schriftsteller her: Sie seien Beteiligte an dem Drama der „progressiven Selbstauflösung des Bildungsprivilegs und betrieben die Demokratisierung der Eliten, also deren Selbstaufhebung. Es zähle nicht mehr der personalisierte Lernprozess, sondern unpersönliche Vorgaben der Fakultät. Dem kann ich zustimmen, und ich fürchte, es ist auch Sloterdijk nicht gelungen, dem intellektuellen Leerlauf des universitären Bildungssystems zu entkommen. Er hat die Vertikale, die Dimensionserweiterung des empirischen Denkens, abgeschafft und Qualität durch Quantität ersetzt. Ich hoffe immer noch, ich habe S. falsch verstanden.
Auf Seite 506 fand ich einen wichtigen Satz: „Du musst die Welt verändern, damit du, wenn sie im richtigen Sinn umgestaltet ist, dich guten Gewissens an sie anpassen kannst.“ Der Satz birgt eine gewisse Tragik: Man wird aktiv, um den Zustand der Passivität zu erreichen. Hoffentlich auf höherem Niveau! An anderer Stelle beschreibt S. dasselbe mit einem Immunsystem und dem Habitus. Das Immunsystem – sei es das körpereigene oder das eines Volkes – arbeitet an der Systemstabilisierung, was zu neu einzuübenden Gewohnheiten, einem neuen Habitus führt, bis die nächste externe Störung eintritt, die die Immunabwehr erforderlich macht.
Kein gutes Wort findet er für das Schulsystem – ich schrieb darüber in „Schulversagen“, aber auch auf Seite 574 heißt es, dass die allesinfiltrierende Massenkultur aufgrund ihrer siegreichen Mischung aus Simplifikation, Respektlosigkeit und Unduldsamkeit jeder normativen Vorstellung von Höhe abgeneigt ist, erst recht von Höhen, an denen sie sich messen sollte.“
Richtig erkannt! Und ich erwarte von S., dass er eine Lösung anbietet. Im nachfolgenden Kapitel „Lob der Horizontalen“ darf ich eine Lösung des Problems der Niveaulosigkeit“ der Massenkultur wohl nicht erwarten. Auf Seite 585 schreibt er von der Devertikalisierung der Existenz und wie man den „Fortschritt“ neu definieren könnte: Schritte in der Horizontalen, auf der Flacherde, statt nach oben ins „Unmögliche“. Er kritisiert (S. 588), dass das „Vorwärts“ neuerdings zugleich ein „Aufwärts“ sei solle, was als „evolvierendes System“ genannt werde, um das Paradoxon zu verschleiern. Kleinlaut versuchen die Anhänger der Evolutionstheorie das Fehlende „nach oben“ mit „Komplexitätssteigerung“ zu kaschieren. Sie meinen, es könne Ströme geben, die bergauf fließen.
Ein „Bonmot“ auf Seite 608 (mit eigenen Worten): Wenn die Staatsquote der Steuerlast 50 % beträgt, sind die Bedingungen des real existierenden Sozialismus bereits erfüllt!“
Ein weiteres „Bonmot“ auf Seite 633: „Der Staatsterror bildet das funktionale Äquivalent der Vollnarkose bei Schweren Operationen an großen Kollektiven.“
S. 645: „Dummheit wird durch ein langes Training in Lernvermeidungsoperationen erworben.“
Auf Seite 672 meint S., der Fortschritt generiere sich aus Besserungswissen und Optimierenkönnen, aber es bestünde die Gefahr der Trainingsabbrüche wie derzeit die roten, braunen, schwarzen und grünen Fundamentalisten vollzögen. Es müsse eine Abwehr falscher Lehrpläne, eine Filterung zeitgenössischer Ideenproduktion geben. Indem sie vorgeben, die Zukunft zu sein, wollen sie in Wahrheit die Zukunft abschaffen. – S. befürwortet also die Zensur, allerdings eine Zensur der Politik der Kartellparteien.
Am Schluss des Buches schreibt S., die einzige Autorität, die heute sagen darf: „Du mußt dein Leben ändern!“ ist die globale Krise, von der seit einer Weile jeder wahrnimmt, dass sie begonnen hat, ihre Apostel auszusenden. Sie besitzt die Autorität, weil sie sich auf etwas Unvorstellbares beruft, von dem sie der Vorschein ist – die globale Katastrophe. Man braucht nicht religiös musikalisch zu sein, um zu begreifen, warum die Große Katastrophe zur Göttin des Jahrhunderts werden musste. …. Sie richtet ihren Appell an jeden einzelnen: Ändere dein Leben! Andernfalls wird früher oder später die vollständige Enthüllung euch demonstrieren, was ihr in der Zeit der Vorzeichen versäumt habt!“
S. meint damit vermutlich, dass der Mensch die Vertikalspannung zum Unvorstellbaren, ja Unmöglichen hin wieder aufrichten muss, damit dieses Unvorstellbare sich nicht in die materielle Welt externalisiert und uns alle vernichtet. Hiermit bestätigt er – allerdings unausgesprochen – den Zusammenhang von innerer Einstellung (Ethik) und dem Geschehen in der Umwelt. Wenn wir die Katastrophe in uns nicht verhindern, werden wir sie im Außen erleben. Das ist ganz meine Rede, aber ich finde sie leider nicht auf den Punkt gebracht von Peter Sloterdijk, der sonst immer alles so exakt auf den Punkt bringt.
Auf Seite 703 heißt es dann, an theologisch Interessierte adressiert: „Der Eine Gott und die Katastrophe haben mehr miteinander gemeinsam, als man bisher registrierte, nicht zuletzt den Ärger mit den Menschen, die sich nicht dazu aufraffen können, an ihn oder sie zu glauben.“ Sloterdijk fordert die Rückkehr des Erhabenen und die Rückkehr der echten Vorbilder für die Menschen. Sie brauchen das „Unerreichbare“ (für den Materialismus unerreichbar) als Anker im Himmel für die Aufrichtung der Vertikalspannung.
Kommen wir zu meinem Urteil: Ich vermute, Sloterdijks Philosophie unterscheidet sich von meiner dadurch, dass ich an eine tatsächliche Verankerung der Vertikalspannung im Göttlichen und an einen wirklich gangbaren Weg hin zu Gott glaube, während er glaubt, dass es diesen multidimensionalen, lebendigen, bewussten Kosmos – Gott – zwar nicht gibt, dieser jedoch vom Menschen, jedenfalls von den wenigen echten Vorbildern, den wirklich Erhabenen, konstriuiert werden muss.
Wenn man diesen „erhabenen“ Punkt konstrieren kann, frage ich, warum es ihn nicht längst geben kann. Ich vermute, dass Sloterdijk glaubt, es gebe diese „Ankerpunkte“ des Geistes für das Höhere nur im individuellen Bewusstsein, während ich glaube, dass diese „Konstellation“ etwas Übergeordnetes ist. Deshalb ist „mein“ Kosmos angefüllt mit vielen, auch außerirdischen und interdimensionalen Intelligenzen wie Engeln oder Galaktischen Allianzen, während Slorterdijks multidimensionaler Kosmos so gut wie leer ist.
Frage an Copilot: Stimmt meine Zusammenfassung des Buches „Du mußt dein Leben ändern“ von Sloterdijk mit deiner Zusammenfassung ungefähr überein?
Schlussbetrachtung (Heyer): Der Unterschied unserer Philosophien kommt meines Ermessens dadurch zustande, dass Sloterdijk für seine Philosophie eine materialistische Grundlage genommen hat; für ihn sind alle individuellen Bewusstseine voneinander räumlich getrennt und können deshalb ausschließlich mittels verbaler und habitualer Kommunikation etwas Gemeinsames, zB eine Hochkultur, aufbauen.
Nach meiner Philosophie sind alle Bewusstseine in einem übergeordneten multidimensionalen geistigen (raumzeitlosen) Universums miteinander verbunden, ja eins, sodass die Vertikalspannung global ist und die Trennung auf Illusionen beruht.
Frage an Copilot: Was sagst du zu meiner Schlussbdetrachtung?