Hans-Joachim Heyer

Apfelbäume

Die Westliche Kultur begann mit dem Mythos von den ersten Menschen, die einen Apfel aßen und darum aus dem Paradiese vertrieben wurden. Mein Apfelmythos ist diesem entgegengesetzt. Ich überlegte mir, wie man den Menschen, der sich immer weiter von seinen Wurzeln entfremdet und zu vertrocknen droht, ins Paradies – die wiederverzauberte Welt – zurückführen könne, ohne daß er auf seine positiven kulturellen und technischen Errungenschaften verzichten müsse. Meine Frage lautete: Wie bringt man lebendige Vegetation in die Beton- und Asphaltwüsten, damit sich der Mensch wieder mit dem vegetativen (Nerven- und Lebens-) System verbinde? Wie bringt man Liebe zum Leben und Abkehr von der Sensation dauerhaft in die Seelen der Menschen? Wie macht man die Städte der Menschen zu lebenswerten Lebensräumen?

Selbstverständlich ignoriere ich nicht die Tatsache, daß es in den Städten jede Menge Grünanlagen gibt. Diese bewirken jedoch in den Seelen der Menschen nichts das, was mir vorschwebt. Ich denke hauptsächlich an die persönliche, emotionale Beziehung, ja Symbiose oder Lebensgemeinschaft zwischen jeweils einem Menschen und einem Obstbaum. Wenn man diese in den Städten zu realisieren versuchte, würde eine lebensfreundlichere Architektur und Städteplanung entstehen, sowie ein spirituelles Verhältnis zur vegetativen Natur insgesamt.

Die Architekten haben versagt, weil sie nach ökonomischen Vorgaben dachten oder weil sie gar keine Ideen hatten. Auch ich steckte in der Falle, in der heute alle Städteplaner und Architekten stecken: in der Falle, sich zukünftiges Wohnen und Arbeiten und zukünftige Verkehrsführung vorstellen zu müssen, ohne eine Idee von neuen Dimensionen des Lebens zu haben. Bei dieser Methode erhalten wir immer wieder alte Versatzstücke in neuen, meist schlechteren, Kombinationen, die das Leben in den Städten nicht verbessern, sondern weiter verschlechtern, indem sie das Alte (Häuser, Dörfer) in riesigen Quantitäten stapelten (Hochhäuser) und nebeneinanderlegten (Straßensysteme). Nein, so geht das nicht!

Man muß dem Städtebau eine neue Dimension hinzufügen. So sagt es mein Mythos vom wachsenden Leben. Was wäre diese neue Dimension für das städtische Leben? Ich fand eine Antwort: Der Apfelbaum!

Architekten erhalten die Auflage, so zu bauen, daß jeder Bewohner der Anlage die Möglichkeit erhält, seinen Apfelbaum zu pflegen. Wird diese Auflage erfüllt, kommt automatisch Natur in den Wohnbereich. Die Städte – und deren Bewohner – können nicht länger verwüsten. Die Apfelbäume werden unsere Städte für den Einzug der Natur aufschließen. Die persönliche Beziehung zum Baum stellt Verantwortlichkeit her. Am Geschmack der Äpfel erkennen wir die Würze unseres eigenen Lebens. Wenn wir unsere Bäume heiligen, heiligen wir uns mit ihnen – und werden heil an unseren Seelen.

Das Heim eines jeden Menschen ist materieller Ausdruck seines Seelenzustandes. Da die heil(ig)e Seele ein spirituelles Zentrum verfügt, sucht sie in der Außenwelt einen Ausdruck für dieses Geheimnis, indem man an einem kontemplativen Ort des Heims eine Art Altar bzw. Privatheiligtum, errichtet. Ich persönlich verbinde hiermit immer lebendige Bäume: in Bonsaiform fürs Zimmer, draußen ein Apfelbaum..

Um den Mythos ins Rollen zu bringen, könnte sich jeder Interessierte seinen eigenen Apfelbaum zulegen. Wer einen Garten hat, kann hier beginnen. Dann kommen noch Kübelpflanzen und Patenschaften, bzw. Kauf in Betracht. Warum soll man sich nicht Bäume auf in Fremdbesitz befindenden Grundstücken kaufen können? Wer anfangs eine Patenschaft für einen Baum übernimmt, wünscht sich diesen Baum in seine Wohnnähe – und da Wünsche sich zu realisieren pflegen, wird der Liebhaber seines Baumes irgendwann naturnäher leben. Das heißt, daß die Architektur es zulassen wird, daß jeder zusammen mit seinem Baum leben kann. Wenn Bäume auf diese Weise Wurzeln in unseren Wohnbereichen schlagen, werden auch die Bewohner solcherart veränderter Wohnstädte sich in ihrer Heimat verwurzeln. Der Automatismus ist in Gang gesetzt: Unser städtisches Leben wird sich um eine Dimension erhöhen.

Der Apfelbaum eignet sich in unseren Breiten besonders gut. Er benötigt echten Boden – und auch Menschen brauchen echten Boden! Er wird uralt – so alt wie ihre Besitzer dann auch werden. Er bringt Früchte: Nahrung und Medizin in einem! In Kombination mit Kombucha werden sie alle Krankheiten heilen. Jeder wird seine eigenen Äpfel haben und zu besonderen Anlässen essen. Ich stelle es mir wunderschön vor, wenn Kinder in feierlicher Stunde ihren eigenen Apfelbaum, den sie hegen und pflegen, bekommen. An ihm lernen sie die Geduld, die sie für ihr eigenes Seelenwachstum benötigen, denn auch Menschenseelen wachsen wie Bäume. Sie lernen das Warten auf das Reifen der Früchte. So kann die Vorfreude wachsen, die bekanntlich besser ist, als die kurze Freude am schneller Erreichbaren.

Ich muß den Mythos her nicht bis in alle Einzelheiten ausspinnen. Er wird sich selber entfalten und das bringen, was ich voraussage.

Entfaltungen (7.4.2002): Peter Handke, „Der Bildverlust“, S. 49: „Das, was ein Historiker als das Phänomen der >langen Dauer< bezeichnet hatte, die verläßlichste Wellenbewegung in der Geschichte, die nicht zerstörbare (oder doch, allmählich doch)? Wie auch immer: wie stachen etwa die alten, die wiederbelebten Apfelsorten heraus unter den zugereisten, auf den Bäumen, in den Plantagen, aber auch noch im Kunstlicht der Großmarkthallen. Wie glänzten und dufteten sie, und das war kein falscher Zauber…..“

Fund am 30.4.:http://www.bonsai.org/phill.htm

Email vom 7.4. von G.T.:

Sehr geehrter Herr Heyer,

mich hat Ihre Vision vom Apfelmythos sehr erfreut.

Seit einigen Wochen erarbeite ich zum Thema: „Umgang mit Erde/Boden in (den immer weiter ausufernden) Städten und (den zunehmend verstädterten) Landschaften“ einen Prüfungsvortrag für die Fachrichtung Landschaftsplanung. Dabei habe ich, am Beispiel der Stadt in der ich lebe, ein Szenario entworfen wonach es wieder möglich sein soll Apfelbäume in Siedlungen, an Strassen, in öffentlichen Parks …zu pflanzen. Die Verantwortung, Pflege, Freude und Ernte habe ich den StadtbewohnerInnen und nicht dem Gartenamt zugedacht. Mit örtlichen Behörden habe ich dazu schon Kontakt aufgenommen…und dann…

fand ich heute Ihre Version vom Apfelmythos, kurz vor Beendigung meiner Netz-Recherchen zu Apfelbäumen.

Schön, daß es diese Zu-Fälle gibt. Schön, daß man sich nicht nur allein solche Zukünfte vorstellen kann und die Gegenwart dort hin bewegt.

Weiterhin alles Gute für Sie

Fund am 19.4.: http://mitglied.lycos.de/RainerHartwich/id15.htm (ich suchte bei Google nach „Lebenskunst“)

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