Beschert uns die Hirnforschung ein neues Menschenbild? Welche Gefahren bergen ihre Anwendungen? Brauchen wir eine Neuroethik?
„Ein Frontalangriff auf unsere Menschenwürde“
Wolf Singer, Thomas Metzinger und Carsten Könneker im Gespräch
Blaue und eingerückte Kommentare von Hans-Joachim Heyer
7.10.2003
In der Hirnforschung bahnt sich die größte wissenschaftliche Herausforderung des 21. Jahrhunderts für unsere Gesellschaft an. Was auf uns zukommen könnte – darüber diskutierte Gehirn&Geist mit Max-Planck-Direktor Wolf Singer und dem Philosophen Thomas Metzinger.
Gehirn&Geist: Herr Professor Metzinger – sie fordern, die Öffentlichkeit rechtzeitig auf die brisanten Erkenntnisse der modernen Hirnforschung vorzubereiten. Was rollt da auf uns zu?
Prof. Dr. Thomas Metzinger: Die Hirnforschung verändert in dramatischer Weise unser Menschenbild und damit die Grundlage unserer Kultur, die Basis unserer ethischen wie politischen Entscheidungen.
G&G: Das hört sich ja fast gefährlich an.
Metzinger: Alarmismus oder Panikmache wären die falsche Einstellung. Trotzdem ist die Entwicklung riskant, weil sie uns alle betrifft – nicht nur die Hirnforscher und die Philosophen. Es handelt sich um eine tiefgreifende Veränderung des Bildes von uns selbst. Das wird für manche von uns schmerzhaft sein.
G&G: Worin besteht dieser Schmerz?
Metzinger: Ich denke da etwa an unsere Vorstellungen von Sterblichkeit – speziell an die überkommene Annahme, es könnte Bewußtsein vielleicht auch ohne neuronale Basis geben. Die Vorstellung einer Fortexistenz des bewußten Selbst nach dem physischen Tod wird jetzt so unplausibel, dass der emotionale Druck auf Menschen, die dennoch an ihren traditionellen Weltbildern festhalten wollen, nur schwer erträglich werden könnte.
Ich erwarte von Metzinger nicht, daß er schon zu Beginn des Gesprächs begründet, was er sagt. Zuerst werden die Thesen vorgetragen. Sie stellen das vorläufige Ergebnis seines Denkens und Forschens in Hinsicht auf das Thema dar. Die Begründungen kommen später.
Halten wir also fest: Metzinger (und Singer – sie sind in diesem Interview austauschbar) will erforscht haben, daß Bewußtsein eine materielle (neuronale) Basis habe und daß folglich beim Tod des Leibes diese Basis wegfalle und damit das Bewußtsein erlösche.
Was mich nun sofort interessiert – und weswegen ich dieses Gespräch in meine HP hineinkopierte – ist meine Frage, wie Metzinger diese These mit der von ihm selbst in Universitätsvorlesungen (leider nur ansatzweise) vorgetragenen anderen These verbindet, die besagt, daß die materielle Welt vor unseren Augen ein Modell sei, welches unsere Gehirne kreiert haben. Metzinger: „Wir haben mit unseren (materiellen) Augen noch nie die Außenwelt gesehen. Wir laufen in unseren Sehrinden herum!“ Entsprechend dieser zweiten These ist der „Blumenkohl“ da oben, den die Hirnforscher so emsig unter ihren Mikroskopen betrachten, nicht Sitz und Verursacher des Bewußtseins, sondern bereits dessen Produkt, welches sich innerhalb der Sehrinde des „realen Gehirns“ (siehe G. Roth in „Gehirn“) befindet. Das eröffnet die nächste Frage, nämlich die nach dem Ort und nach dem „Substrat“ dieses realen Hirns. Wenn der materielle „Blumenkohl“ nicht unser Gehirn ist, was und wo ist es dann? Und dann die Frage: Wenn der „Blumenkohl“ abstirbt – ist dieses Sterben eine Inszenierung des realen Hirns, welches dann allerdings über den Tod hinaus weiterleben müßte? Ist es dem realen Hirn möglich, sein eigenes Absterben auf selbsterschaffener materieller Bühne zu inszenieren? Wenn diese Szenerien stimmen, hat das die Konsequenz, daß das reale Hirn nicht in jener Zeit und jenem Raum sein kann, in der/dem der „Blumenkohl“ existiert. In welcher Zeit und in welchem Raum lebt unser reales Gehirn dann? Gibt es eine kausale Verbindung zwischen der Welt des realen Hirns und der materiellen Welt in seiner Sehrinde? Aus welchem „Material“ besteht das reale Hirn, wenn nicht aus Materie? All diese Gedanken und Fragen finden in obigem ersten Statement Metzingers keine Erwähnung.
Welche Argumente haben Metzinger und Singer von der These der materiellen Basis des Bewußtseins überzeugt? Warum haben sie die These vom Primat des Geistes verworfen? Warum verschweigen sie sogar dieses Verwerfen? Warum tun sie so, als ob es die Alternative der zweiten These gar nicht gebe?
G&G: Aber die Auseinandersetzung mit atheistischen Positionen ist doch für religiöse Menschen nichts Neues.
Metzinger: Natürlich nicht, das Thema Sterblichkeit wird seit Jahrhunderten diskutiert. Aus rein philosophischer Perspektive ist Endlichkeit als solche zunächst kein Problem. Nur engt sich jetzt auch für die allgemeine Öffentlichkeit, für den Normalbürger, der Spielraum dessen zunehmend ein, woran er als Privatmensch noch glauben kann – ohne vom Rest der Gesellschaft belächelt zu werden. Wer dem wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt offen begegnet, kann bald nicht mehr an so etwas wie ein personales Überleben nach dem Tode glauben.
Hier setzt Metzinger stillschweigend voraus, daß die Welt ein Ganzes sei und daß in ihr alles kausal verknüpft und damit kausal nachvollziehbar sei. Er argumentiert: „Wenn die Welt ausschließlich physikalisch ist, kann die Physik mit ihren methodischem Werkzeugen sie (im Idealfall) vollständig beschreiben.* In dieser Welt, die dann identisch mit dem Physikmodell wäre, kann es ein personales Überleben ohne Leib nicht geben.“ – Meines Erachtens hat Metzinger hier das Wörtchen „wenn“ unterschlagen. Was ist, wenn das Physikmodell NICHT die ganze Welt beschreibt? Dann GIBT es „Dinge“, die außerhalb des Materiellen sind – und hier bietet sich das „reale Hirn“ geradezu an, denn dieses kann es ausschließlich – wenn es existiert – außerhalb der materiellen Welt, außerhalb von Raum und Zeit, geben! Und wo wäre unser „personales Überleben“ besser gewährleistet, als in diesem „realen Gehirn“ (welches ich in meiner HP meist „Seele“, und dessen „Material“ stets „Geist“ nenne)?
* In einem 3sat-Interview (http://www.3sat.de/3sat.php?http://www.3sat.de/kulturzeit/lesezeit/19443/) sagte er wörtlich: „Daß es eine prinzipielle Grenze unseres Wissens zB in den Neuro- und Kognitionswissenschaften gibt, das glaube ich nicht. Dafür gibt es keine Anzeichen.“
G&G: Was würde das für unser Zusammenleben als Gemeinschaft bedeuten, wenn etwa der christliche Glaube an ein Leben nach dem Tod demnächst gesellschaftlich geächtet wäre?
Metzinger: Der persönliche Tod ist für uns im Allgemeinen der größte anzunehmende Unfall. Die Evolution hat den Überlebenswillen als eine Art biologischen Imperativ fest in unseren Gefühlsapparat eingebrannt. Jeder Einzelne von uns wird zukünftig noch bewußter als bisher damit leben müssen, dass dieser Super-GAU auch für ihn eintreten wird. Mein Existieren ist begrenzt – diese Einsicht trifft uns bereits als biologische Wesen. Sie verursacht einen emotionalen Schmerz – sozusagen als Preis dafür, dass wir denken können. Noch härter trifft sie freilich Anhänger bestimmter kultureller Traditionen – etwa der christlichen.
In meinem Szenario (These 2) ist dieser „Supergau“ eine Inszenierung meiner Seele, die ihn nur deshalb inszenieren kann, weil sie selbst von diesem Supergau nicht betroffen ist. Ich vermute, Metzinger hat sich für These 1 entschieden, weil er ein bestimmtes philosophisches Problem nicht zu lösen vermag: Was mit einer Seele, die außerhalb von Raum und Zeit existiert, geschieht, wenn sie ihr Selbstmodell, den materiellen Leib in Raum und Zeit, sterben läßt? Er versteht nicht meine Antwort, daß die zeitliche Begrenztheit des Selbstmodells von beispielsweise 80 Jahren für die Seele identisch mit der Ewigkeit ist.** Ich stelle mir die raumzeitliche Vergänglichkeit als auf der Oberfläche einer Kugel befindlich vor. Die Seele sei die Kugel; die Oberfläche sei die materielle Welt. Das Kausalgesetz, in welchem Metzinger denkt, gibt es ausschließlich auf dieser Oberfläche. Hier findet empirische Wissenschaft statt. Hier ist der Blumenkohl, aber nicht das Bewußtsein, das Metzinger in ihm sucht.
Meine Metapher von der Darstellung der Zeit als Teil einer Kugeloberfläche ist berechtigt, da selbst lt. Physikmodell „Zeit“ als Dimension begriffen wird.Metzinger versteht nicht, was der Physiker Hendrik von Hees ebenso nicht versteht: siehe (X) – Variante 1.
Oder – Variante 2 – er versteht! Dann hat er sich jedoch auf das große „Spiel der Welt“ eingelassen: macht die große kreative Lüge der Welterschaffung mit. Dann wäre er kein passiver Erforscher einer gegebenen Welt; dann wäre er ein aktiver Demiurg! – Ich gehe davon aus, daß Variante 2 stimmt. Ich selber spiele sie. Warum sollte Metzinger nicht intelligent genug sein, sie ebenso zu spielen? Das Spiel der Welt funktioniert wie in „Schrödinger“ angedeutet,
– mittels Objektivation bei Streichung des Subjekts,
– Identifikation des Physikmodells mit der Welt, die von ihm abgebildet werden soll,
– Leugnung der Möglichkeit, daß „etwas“ außerhalb des Modells existieren könne, bzw.
– Nachinnenverlegung alles möglichen Äußeren, was zur Folge hat:
– kausale, denkerische, energetische Schließung des Physikmodells.(Die o.g. Leugnung wird von Physikern meist mit dem Erfolg der Wissenschaft „begründet“ – siehe (X).)
** Aufgrund fehlender Relation zwischen Zeitlichem und Ewigem (Ewigkeit ist Zeitlosigkeit, nicht unendlich viel Zeit), bewirkt eine doppelte zeitliche Erscheinung des Ewigen: 1. daß Ewiges scheinbar in kurze Zeitabschnitte vollständig hineinpaßt, und 2. daß selbst unendlich lange Zeiträume scheinbar in die Ewigkeit hineinpassen. Genauere Erklärungen in meiner HP.
G&G: Herr Professor Singer, wenn all dies zutrifft – ist einem Hirnforscher bei seiner täglichen Forschungsarbeit eigentlich bewußt, dass er dabei ist, ein mentalitätsgeschichtliches Pulverfaß aufzufüllen, das in nicht allzu ferner Zukunft explodieren könnte?
Prof. Dr. Wolf Singer: Zunächst einmal muß ich Herrn Metzinger zustimmen: Alles, was wir in dualistischen Leib-Seele-Modellen gern dem Geistigen zuschreiben, ist rein biologisch bedingt. Und diese Verletzung unseres überlieferten Selbstverständnisses tut weh – auch dem, der diese Erkenntnisse zu Tage fördert. Auch für mich als Hirnforscher bedeutet dies ein ständiges Problem: Ich lebe gewissermaßen als dissoziierte Person.
Das sollte zu denken geben! Warum kann man die Philosophie Metzingers und Singers nicht leben, ohne sich in Widersprüche zu verwickeln? Es sollte ihnen zu denken geben, daß ich mit meiner Philosophie und Lebenspraxis diesen „Spagat“ nicht machen muß! Das ist mein Erkenntnisfortschritt!
G&G: Was heißt das?
Singer: In unserem täglichen Tun betrachte ich das Gehirn als ein Objekt der dinglichen Welt und untersuche es aus der Dritte-Person-Perspektive, wie einen beliebigen anderen wissenschaftlichen Gegenstand. Nur erfahre ich in diesem speziellen Fall gleichzeitig etwas über mich selbst als geistiges Wesen, und dieses Wissen kollidiert mit meiner subjektiven Selbsterfahrung. Wir betrachten uns ja beispielsweise als frei in unseren Handlungen, obwohl diese Willensfreiheit neurobiologisch betrachtet gar nicht existiert. Auch das Konstrukt einer immateriellen Seele ist wissenschaftlich nicht haltbar. In unserem persönlichen Erleben, in der subjektiven Erste-Person-Perspektive, halten wir dennoch daran fest.
Vorsicht! Wir werden hier aufs Glatteis geführt: Daß „das Konstrukt einer immateriellen Seele wissenschaftlich nicht haltbar ist“, behaupte auch ich, der von der Existenz einer Seele überzeugt ist! Singers Aussage bedeutet nicht, daß es dieses Konstrukt nicht gebe; sie bedeutet lediglich, daß es keine wissenschaftlichen Nachweise gebe! Auch die Leugnung des freien Willens, der Farben, der Gefühle usw. (Qualia-Problem) ist wissenschaftlich notwendig! Nur wer Modell und Realität gleichsetzt, schließt von Unwissenschaftlichkeit von Seele, Wille und dergleichen auf Nichtexistenz.
Singer und Metzinger sind Leute, die Bewußtsein und freien Willen in dunkler Welt suchen, sich aber dabei darauf beschränken, mit Hilfe einer Taschenlampe zu suchen, die ausschließlich das Licht der wissenschaftlichen Aufklärung verstreut – wohl wissend, daß in diesem Licht das Gesuchte unsichtbar ist.
G&G: Das hört sich nach einer schweren Bürde an. Sie leben gewissermaßen gleichzeitig in zwei Welten, deren Beschreibungsweisen sich gegenseitig ausschließen, die Sie aber trotzdem miteinander in Einklang bringen müssen.
Singer: Genauso verhält es sich. Denken Sie nur an das Problem der Erziehung! Wenn ich meine Kinder für eine Regelübertretung zur Rechenschaft ziehe, dann subsumiere ich reflexhaft die überkommenen Sichtweisen: Ich nehme unweigerlich an, dass meine Kinder in ihren Handlungen frei waren. Sonst könnte ich sie ja nicht bestrafen. Und diesen Selbstwiderspruch, diesen Konflikt zwischen unterschiedlichen Erfahrungswelten, den müssen wir aushalten.
G&G: Sind wir diesem Konflikt denn gewachsen?
Metzinger: Bei aller Kunst der Vermittlung – in meinen eher finsteren Minuten frage ich mich ehrlich gesagt, ob es nicht Theorien über uns selbst geben könnte, die niemand von uns vollständig ertragen kann: Erkenntnisse, die wir in unser Selbstmodell, unser inneres Bild von uns selbst, nicht integrieren können, ohne krank oder zumindest zu Heuchlern zu werden.
Heuchler? Sind Kreatoren und Demiurgen Heuchler? Ich denke, sie erschaffen bewußt mit Hilfe ihrer reduktiven Philosophie jenes Schatten-Sklavenheer, das nötig ist, um das große Spiel zum Erfolg zu bringen. Genaugenommen ist die Gefahr ein künstliches Problem: Wie macht man diesem Schatten-Sklavenheer ihre eigene Unterwerfung schmackhaft? Wie bringt man die Masse der Menschen dazu, sich freiwillig zu opfern?
Singer: Ich denke, der beschriebene Konflikt läßt sich beherrschen, wenn wir mit dem Wissen verantwortlich umgehen. Deshalb ist es so wichtig, die Öffentlichkeit aufzuklären.
G&G: Was versprechen Sie sich davon – die Abmilderung einer Art Panikreaktion?
Singer: Nein. Es geht eher um die Formulierung neuer ethischer Regeln, bei der die Gesellschaft den Hirnforschern helfen muß. Es kann ja nicht sein, dass sich die Experten den ethischen Rahmen für ihr Tun selbst setzen. Dieser muß immer von der Gesamtheit der Betroffenen definiert werden. Und das wiederum gelingt nur dann, wenn das Wissen überall verfügbar ist.
Es sollte bekannt sein, daß die Demokratisierung der Moral zum niedrigstmöglichen Niveau ebendieser führt. BILD führt täglich den Nachweis, daß man – Hobbes läßt grüßen – GANZ unten bei Mord, Totschlag, Pornographie, Vergewaltigung, Betrug, landet, wenn man immer nur macht, was die Mehrheit „will“. Hörte man auf die Mehrheit, ist der Untergang ebendieser Mehrheit praktisch beschlossene Sache, ohne daß es einen Jemand geben müßte, der den Untergang beschlösse. Ohne Führung fällt die Masse auseinander und wird zur marodierenden Pöbel. Der Pöbel, alleingelassen, rast stets in den Abgrund!
G&G: Und Sie meinen, dass Sie Ihre Erkenntnisse dem Durchschnittsbürger adäquat vermitteln können?
Singer: Hier liegt die Herausforderung. Der Aufklärungsakt in der Hirnforschung ist zweifellos noch viel problematischer als er es zum Beispiel in der Quantenphysik war. Damals bestand das Problem darin, Unvorstellbares anschaulich zu machen. Wir aber müssen etwas vermitteln, das einem Frontalangriff auf unser Selbstverständnis und unsere Menschenwürde gleichkommt.
G&G: Wird die Hirnforschung unser Menschsein zu etwas gänzlich Belanglosem degradieren?
Singer: Nein, im Gegenteil! Menschsein ist nach wie vor etwas Wunderbares. An der Würde, ein bewußtes Wesen zu sein, machen wir ja gar keine Abstriche.
Das ist gelogen! Abstriche sind: Du mußt dich „dissoziieren“! Du hast keinen Willen, keine Entscheidungsgewalt über dein Schicksal! Dein Bewußtsein „autorisiert“ nur, was schon lange beschlossen ist (ist Epiphänomen). Du bist ein Blatt im Wind, ein Nichts!
Metzinger: Mit dem eben beschriebenen Dilemma leben zu können und daran nicht zu zerbrechen, sondern Humanität und Mitgefühl anderen gegenüber zu bewahren, das wäre möglicherweise sogar eine zeitgemäße Definition der Würde des Menschen.
Falsch! „Würde“ gibt es nicht in dem materialistischen Weltmodell, welches Metzinger und Singer propagieren. Sie wird zusammen mit „Bewußtsein“, „freier Wille“, „Verantwortung“ und dergleichen verschwinden.
G&G: Dieser Begriff ist ja auch ein juristischer Terminus. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, heißt es in der Präambel unseres Grundgesetzes. Werden sich auch Gesetzgebung und Rechtsprechung an den Erkenntnissen der Hirnforschung ausrichten müssen?
Singer: Vor allem über unser Strafsystem werden wir neu nachdenken müssen. Wer immer sich heute über Schuldfähigkeit Gedanken macht, ist gut beraten, die Erkenntnisse der Hirnforschung zur Kenntnis zu nehmen.
Richtig: Schuld, Gut und Böse, Gerechtigkeit, Ziele, Pläne, Schönheit, Häßlichkeit, Existenz – ALLES wird verschwinden im naturwissenschaftlichen „Nirwana“.
G&G: Nehmen denn die Juristen Ihre Forschungsergebnisse bereits wahr?
Singer: Ich bin erstaunt, wie wenig beeindruckt sich juristische Kreise davon zeigen. Ich habe in Karlsruhe mit Bundesverfassungsrichtern über das Thema „freier Wille“ diskutiert. Die Juristen behandeln die Frage der Schuldfähigkeit pragmatisch: Einer tat, was er tat, weil es sich so fügte. Sonst hätte er es nicht getan.
Auch ich habe mit Juristen das Thema ausgiebig diskutiert: Obwohl sie davon überzeugt sind, daß es keine Willensfreiheit gibt, sehen sie sich gezwungen, ihre Seelen zu „dissoziieren“: „Ich muß so tun, als ob es den freien Willen (und in Abhängigkeit davon „Verantwortung“) gäbe. Ich könnte ansonsten meinen Beruf nicht ausüben!“
G&G: Die Geschichte lehrt uns, dass naturwissenschaftliche Theorien, einmal in die Allgemeinheit entlassen, verfälscht oder gar ideologisch mißbraucht werden können. Denken wir nur an den Darwinismus und die so genannte Rassenkunde im Deutschland der NS-Zeit! Erscheint ein politisch-ideologischer Mißbrauch auch im Fall der Erkenntnisse der modernen Hirnforschung denkbar? Könnte man am Ende eine neue totalitäre Doktrin daraus zimmern?
Singer: Die Hirnforschung taugt kaum zur Motivation von Führerkult. Der pseudoreligiös stilisierte Führer ist selbst entzaubert, wenn Sie so wollen: ein endliches, rein biologisches Wesen. Wie jeder andere Mensch auch.
Richtig! Die Führer sind aus der Sklavenwelt, der „Welt ohne Willen“ verschwunden. Das heißt aber nicht, daß es sie dann nicht mehr gibt! Das heißt vielmehr, daß sie völlig unerkannt, völlig unkontrolliert, ihr Werk tun können und daß die Sklaven aufgrund fehlendes Maßstabs nicht mehr wissen können, daß sie Sklaven sind!
G&G: Und wie steht es mit der Aufrichtung oder Stärkung einer Ideologie in Abgrenzung zu den Erkenntnissen der Hirnforschung? Wäre es etwa denkbar, dass fundamentalistische Strömungen in islamischen Ländern Zulauf erfahren könnten, indem religiöse Demagogen auf unseren Kulturkreis deuten und sagen „Seht mal, die westliche Welt will uns wissenschaftlich weismachen, dass es mit unserem Glauben – etwa an ein Leben nach dem Tod – nicht weit her ist“?
Metzinger: Dafür gibt es glücklicherweise noch keinerlei Anzeichen. Trotzdem muß man sehen, dass sich die Schere zwischen konkurrierenden Menschenbildern nicht nur bei uns, sondern auch im globalen Zusammenhang, zwischen der ersten und der dritten Welt, weiter öffnen könnte als je zuvor. Unsere eigene – säkularisierte – Gesellschaft wird wohl anders reagieren, wahrscheinlich durch fortschreitende Entsolidarisierung vor dem Hintergrund eines primitiven Vulgärmaterialismus.
G&G: Was verstehen Sie darunter?
Metzinger: Die sozialen Bindekräfte, der implizite moralische Grundkonsens, der weitenteils noch aus dem metaphysischen Bild des Menschen herrührt, könnte sich weiter auflösen. Und die entscheidende Frage lautet: Was hält moderne Massengesellschaften dann überhaupt noch zusammen?
Zum Glück sind die Führer ja nicht wirklich verschwunden. Sie sind bloß unsichtbar geworden – s.o.!
Singer: Da möchte ich einhaken. Eine solche Entwicklung wäre die Folge eines Mißverständnisse. Wenn es uns gelingt, das neue Wissen über den Menschen verantwortungsvoll zu vermitteln, dann sollte es nicht dazu kommen. Vielmehr sollte sich der Mensch erneut als geworfenes Wesen begreifen, das vielfältig bedingt ist und nur einen eng begrenzten Erkenntnisraum hat. Die Folge wäre dann, dass wir unser Leben mit sehr viel mehr Demut gestalten und uns gegenseitig nachsichtiger behandeln. Diese Utopie der Demut, diese Kultur der Solidarität untereinander könnte das Maß der bisherigen, mythologisch verbrämten Utopien an Humanität weit übertreffen.
Aber wie soll es Demut geben, wenn alles, was sie berechtigt und fördert, aus der Welt verschwindet? „Demut“ ist im Physikmodell eine Illusion. Ein wissenschaftlich vollendet Aufgeklärter kann sie bestenfalls heucheln.
G&G: Meinen Sie wirklich, dass die Nächstenliebe effektiver würde, wenn der Glaube an einen Gott entfiele, der das menschliche Handeln überblickt?
Singer: Solidarisch zu sein, lieben zu können – das hat uns ja schon die Natur mitgegeben. Die Frage ist, ob das ausreicht.
Metzinger: Ich glaube nicht. Die Evolution hat uns doch nur mitgegeben, in einer überschaubaren Gruppe füreinander einzustehen: für Artgenossen, mit denen wir in sinnlichem Kontakt stehen. Unser emotionaler Apparat ist für Kleingruppen optimiert. Für Nächstenliebe in Gestalt der heute so dringend notwendigen „globalisierten Fernstenliebe“ etwa ist da wenig Raum. Das Problem lautet daher: Wie werden längst vorhandene rationale Einsichten handlungswirksam? Unsere Biologie sieht nicht vor, aus unseren Emotionen, die ja unsere Handlungen bedingen, so etwas wie rationale Einsichten über globale Menschheitszusammenhänge zu gewinnen. Herrn Singers Gedanken einer Kultur der Demut finde ich ebenfalls sehr schön. Nur ist Demut nichts, was man aktiv oder systematisch anstreben könnte ohne zum Heuchler zu werden.
Gut! Die Frage, wie rationale Einsichten handlungswirksam werden können, habe ich beantwortet, aber nicht in meiner HP veröffentlicht, da ich im Rahmen meiner „Schule für Lebenskunst“ finanziell (materiell) genau von dieser Antwort lebe. Ich habe eine mentale Methode entdeckt, die bewirkt, daß Vorstellungen (Ideen, Einsichten) handlungswirksam werden und sich materiell manifestieren. Ich teile dieses Können mit den o.g. Demiurgen. Es geht darum, seinen freien Willen zu manifestieren, ohne die Gesetze der Kausalität zu brechen.
Singer: Das leistet unser emotionaler Apparat freilich nicht.
G&G: Vielleicht könnte man ja diesen Apparat irgendwie stimulieren. Wie steht es überhaupt mit Eingriffsmöglichkeiten auf das Gehirn, auf unsere mentale Leistungsfähigkeit: Was können etwa Neuroimplantate oder Neuropharmaka ausrichten?
Singer: Zunächst einmal: Psychodrogen sind überhaupt nichts Neues. Wir trinken schließlich auch Kaffee. Die Menschheit war immer sehr innovativ, wenn es darum ging, Stoffe zu entwickeln, die auf die Psyche einwirken. Wir verfügen heute über ein ganzes Arsenal psychoaktiver Pharmaka – wobei die Palette der Möglichkeiten allerdings derzeit enorm anwächst.
G&G: Aber Sie scheinen nicht allzu viel auf die Wirksamkeit dieser Präparate zu geben.
Singer: Doch. Es ist nur sehr unwahrscheinlich, dass wir damit das Gehirn in irgendeiner Form noch optimieren könnten. Dazu hat es sich zu lange entwickelt. Was seine Leistungsfähigkeit angeht, müssen wir es als annähernd perfekt betrachten. Sicher kann man Teilbereiche optimieren, aber nur auf Kosten von anderen Funktionen.
G&G: Was Mißbrauch ja nicht ausschließe. Könnten ehrgeizige Eltern schon bald versuchen, ihre Schützlinge durch das Verabreichen von Gehirn-Doping intelligenter zu machen?
Metzinger: Die Versuchung wird es bestimmt geben. Neben der medizinischen Seite erscheint mir aber die illegale als ebenso wichtig: Es könnte durchaus sein, dass das Drogenproblem eskaliert, wenn es neue Substanzen gibt, die noch viel schönere Bewußtseinszustände vermitteln als alles, was wir heute kennen. Wo ein Markt entsteht, wird immer auch eine Industrie sein, die ihn bedient – ob legal oder illegal. Noch wichtiger erscheint mir jedoch das Stichwort „Neurotechnologie“: Wissenschaftler arbeiten weltweit emsig an neuen technologischen Zugriffsmöglichkeiten auf das Gehirn. Kurz: Die Möglichkeiten, unsere geistigen Zustände zu verändern, werden an vielen Fronten optimiert und in Zukunft überhaupt zahlreicher. Und das stellt eine große neue Herausforderung für die angewandte Ethik dar.
Metzinger sollte zudem bedenken, wie er seine ethischen Forderungen mit den Erfordernissen des Kapitalismus in Einklang bringen will. Gegen freiwirtschaftliche (neoliberale) Interessen geht nämlich gar nichts! Apropos „Freiwirtschaft“: Wie ist es möglich, daß genau in jenen Zeiten, in denen die Wirtschaftsführer Akademiker fördern, die die Willensfreiheit wegerklären, die freie Wirtschaft (und Abschaffung der Politik) fordern?
G&G: Und – werden wir sie meistern?
Metzinger: Jeder von uns wird in Zukunft verstärkt die individuelle Verantwortung für seine psychischen Bewußtseinszustände und seinen Gehirnzustand übernehmen müssen – aber auch für den seiner Mitmenschen. Persönlich halte ich solche neuen Zielvorstellungen für einen Ausdruck des philosophischen Projekts der Aufklärung.
Was ist Verantwortung? Hier wird Willensfreiheit, die es doch angeblich nicht gibt, vorausgesetzt.
Singer: Da möchte ich aber sofort einwenden, dass wir dann auch eine Ethik der Bewußtseinskontrolle durch nicht-pharmakologische Verfahren brauchen. Denken Sie an bestimmte meditative Praktiken: Wenn die nicht bewußtseinsverändernd sind – was dann? Wir sollten auch nicht ausblenden, dass es möglich war, die Bewußtseinslage eines ganzen Volkes zwischen 1933 und 1945 so zu verändern, dass normale Bürger bereit waren, Mitmenschen zu denunzieren und wissentlich ihre Ermordung in Kauf zu nehmen oder an dieser sogar selbst mitzuwirken. Da hat sich in kultivierten, erzogenen Mittelstandsbürgern ein Bewußtseinswandel vollzogen, der an Amplitude durch nichts zu übertreffen ist, was wir etwa mit Neuropharmaka jemals erreichen könnten.
Auch heutzutage wird die „Bewußtseinslage“ massiv verändert, und zwar wesentlich raffinierter, als es die NAZIs vermochten!
Metzinger: Ich glaube auch, dass die medialen Umwelten, die wir uns selbst schaffen, wesentlich gefährlicher für uns werden könnten als die einfache pharmakologische Manipulation. Wir leben mittlerweile in künstlichen medialen Welten, für die das menschliche Gehirn nicht optimiert ist. Psychohygiene im Umgang mit den Medien wäre vor diesem Hintergrund ein sehr begrüßenswertes Projekt im Schulunterricht – genauso wie Meditationsunterricht.
Genau: Es muß eine Elite geben, die sich des freien Willens bedient und jene steuert, denen man den Glauben daran ausgetrieben hat.
Singer: Und hierbei könnte die Hirnforschung in der Tat etwas sehr gutes bewirken. Ständig nehmen die Hinweise zu, dass unsere Erfahrungen selbst die physischen Hirnstrukturen verändern, und zwar nachhaltig. Vor allem bei traumatischen Erfahrungen. Schon daher sollten wir alle sehr viel skeptischer werden hinsichtlich der Macht, die das Wort hat, die das Erleben hat, die das Handeln hat. Auch eine Studie über die Nebenwirkungen der psychoanalytischen Therapie erschiene mir in diesem Kontext interessant.
Sowas muß jeder General aus dem Effeff beherrschen!
G&G: Könnte eine Anwendung der Hirnforschung sein, Persönlichkeitsstörungen zu therapieren?
Singer: Denkbar ist das. Vielleicht können wir einst einen Triebtäter von seinem Übel heilen. Wenn das in beiderseitigem Konsens realisiert wird, wäre es sicher segensreich.
Metzinger: Ich habe mit Studenten schon mehrfach die Frage einer solchen neurotechnologischen Rehabilitierung von Straftätern diskutiert. Interessanterweise zeigten sich amerikanische Studenten dabei weit aufgeschlossener, während in meinen deutschen Seminaren erhebliche Vorbehalte vorherrschten. Im Wesentlichen laufen diese stets auf die Forderung hinaus, der Staat dürfe sich niemals das Recht herausnehmen, Einzelne seiner Bürger zu „reparieren“. In den USA argumentieren die Studenten dagegen, es sei inhuman, einem Menschen durch Bestrafung Gegengewalt anzutun, wenn man seinen psychischen Schaden beheben könne. Für mich ein typisches Beispiel für zukünftige Frontlinien in der Debatte.
Die Angst der „alten Europäer“, daß die Menschen entsprechend der THEORIEN der modernen Neuro-Wissenschaftler genetisch umgestaltet werden, ist berechtigt. Der Mensch würde an ein reduziertes, falsches, tödliches Menschenbild angepaßt: Stoff für Horrorromane!
G&G: Wie stünde es mit der Bereitschaft, durch Hirnscans pathologische Veranlagungen vielleicht schon bei Kindern festzustellen?
Singer: Wir suchen derzeit ja sehr intensiv nach Frühmarkern für den Ausbruch bestimmter geistiger Erkrankungen. Dabei treibt uns die Hoffnung, entsprechend Veranlagte noch vor der Pubertät, vor der endgültigen Ausreifung des Gehirns also, erfolgreich therapieren zu können.
Metzinger: Bei einer flächendeckenden Untersuchung von Kindern würde aber hier zu Lande gewiß ein Aufschrei durch die Bevölkerung gehen. Trotzdem könnte es rational sein, solche neuropsychiatrischen Vorsorgeuntersuchungen tatsächlich einzuführen.
Wenn Krankheiten gesunde Reaktionen auf eine kranke Umwelt sind – davon gehe ich aus – dann wäre es fatal, Kranke dieser kranken Gesellschaft anzupassen! Solange den Herren Metzinger und Singer nicht klar ist, was individuelle und gesellschaftliche Krankheit und Gesundheit ist, sollten sie die Finger davon lassen, Menschen mit Gewalt in ihr Menschenmodell hineinzuzwingen.
G&G: Wie viel kann man dabei denn überhaupt sehen? Ist mein Charakter über ein Neuroscreening des Gehirns etwa digital in Einsen und Nullen darstellbar?
Singer: Nein, natürlich nicht. Unser Wissen über die Zusammenhänge von Hirnstrukturen und Verhaltensdispositionen ist noch sehr rudimentär. Niemand würde derzeit wagen, daraus irgendwelche Rückschlüsse zu ziehen.
G&G: Alle Anwendungen der Hirnforschung, die vielleicht einmal dazu dienen könnten unser Leben zu verbessern, werden voraussichtlich sehr teuer sein. Wie steht es da mit der Verteilungsgerechtigkeit: Besteht nicht die Gefahr, dass sich nur eine keine Finanzelite den Upgrade ihres Menschseins erlauben kann?
Diese Verteuerung ist beabsichtigt.
Singer: Das Problem haben Sie in der Medizin doch schon heute: Es gibt nun einmal Leute, die sich ein neues Herz oder eine neue Niere an den Warteschlangen vorbei verschaffen können – und solche, die das leider nicht können.
Metzinger: Ein gesellschaftlicher Riß könnte auch an anderen Stellen entstehen. Eines von viele Beispielen: Vielleicht werden Versicherungen einmal Preisnachlässe für solche Antragsteller gewähren, die per Hirnscan den Ausschluß bestimmter Krankheitsveranlagungen nachweisen. Die finanziell eher nicht so gut Bestückten würden dann eher dazu bereit sein, ihre Charaktermerkmale offen zu legen, während besser Gestellte sich – wenn Sie das wünschen – auch weiterhin Nichtwissen und Privatsphäre leisten können. An diesem Punkt wäre dann in meinen Augen eine politische Steuerung vonnöten.
Genau! Steuerung ist nötig. Aber gibt es sie? Kann es sie geben – gegen die mächtigeren (?) Interessen der Wirtschaft?
Wolf Singer ist Direktor des Max-Planck-Instituts für Hirnforschung in Frankfurt am Main.
Thomas Metzinger leitet den Arbeitsbereich Theoretische Philosophie am Philosophischen Seminar der Universität Mainz.
Das Interview führte Carsten Könneker.
Quelle: http://www.philosophie.uni-mainz.de/metzinger/publikationen/Gehirn%20&%20Geist.htm
Im folgenden habe ich mir aus dem Internetz einige Zitate herausgesucht, die m.E. belegen sollen, daß Metzinger denselben Fehler begeht, den er mit seiner Philosophie zu beheben angetreten ist: Die Verwechslung des Menschen mit seinem Selbstmodell:
Metzinger: „De facto sind wir selbst Systeme, die sich selbst ständig mit dem von ihnen selbst erzeugten subsymbolischen Selbstmodell „verwechseln“. Indem wir dies tun, generieren wir eine stabile und kohärente Ich-Illusion, die wir auf der Ebene des bewußten Erlebens nicht transzendieren können. Und genau das ist es, was es bedeutet eine nicht-begriffliche Erste-Person-Perspektive zu besitzen, einen präreflexiven, phänomenalen Standpunkt, der allen späteren Formen begrifflich vermittelten und reflexiven Selbstbewußtseins zugrundeliegt, allen späteren Formen von sozialer Kognition und Ich-Du-Beziehungen. Der Kern der Subjektivität des Mentalen liegt also in diesem Akt der „Selbstverwechslung“: Ein Mangel an Information, ein Mangel an epistemischer Transparenz führt zur Entstehung eines phänomenalen Selbst. Quelle: http://www.uni-mainz.de/~metzinge/Texte/ich-stoe.htm
Metzingers Verwechslung liegt m.E. darin, daß er den menschlichen Leib als Verursacher seines Selbstmodells wähnt. Dabei erzwingt seine eigene Philosophie den Schluß, daß der Körper dieses Selbstmodell bereits ist. Ich erinnere mich, daß Metzinger die FARBEN (zB das Rosa unserer Haut) als Bestandteile des Selbstmodells erklärte und elektromagnetische Wellen als Bestandteile der physikalischen Außenwelt. Da wir draußen eine farbige Welt erleben – einschließlich unserer rosafarbenen Haut – müssen wir schließen, daß unser Leib kein Selbstmodell kreiert, sondern diese Kreation bereis IST! Das Selbstmodell ist nicht im Kopf; es läuft körperlich „draußen“ in der Gegend herum!
Auch ich war einmal dieser Verwechslung erlegen. An drei Stellen meiner HP habe ich dokumentiert, wie ich diesen Irrtum aufgedeckt und korrigiert habe: (Briefkasten.html#tasse) (Gottesbeweis.html#tasse) (Mythos2.html#tasse)
Die rosa Haut ist genau wie die elektromagnetische Welle ein Modell. Die Physik ist nicht Basis des Alltagsmodells, in dem es „rosa Haut“ gibt, sondern sie selbst ist ebenfalls ein Modell, nämlich das Physikmodell. Beide Modelle sind grundsätzlich gleichberechtigt. Sie haben aber unterschiedliche „Wirlichkeiten“ für uns zur Folge. Das Physikmodell erlaubt uns den Bau von Raketen; das Alltagsmodell erlaubt uns bewußt und mit Willensfreiheit ausgestattet zu leben.
«Der Organismus verwechselt sich gleichsam mit dem Inhalt seiner Repräsentation und hält sein Selbstmodell für die Wirklichkeit. Erst dadurch wird es richtig effizient.»
Mit „Organismus“ ist wohl das physikalische, materielle Gehirn gemeint. Fragt sich nun, ob Metzinger einen Unterschied macht zwischen „Physikalischem Modell“ und „Materie“.
«Man muß dabei auch immer das gesamte System im Blick haben. Es gibt ja einen großen Teil des Selbstmodells, der völlig unbewußt ist. Der bewußte Teil dagegen wird eine bestimmte Funktion haben; das Gesamtsystem erklärt sich offenbar damit noch einmal gewisse Prozesse selbst und macht sie so für das eigene Handeln verfügbar. Dadurch entsteht etwas wesentlich Größeres, nämlich eine Gesamteinheit, die auf sehr komplizierte Art und Weise in sich selbst wechselwirkt. Für die Willensfreiheit muß man immer die Person als Ganzes sehen, also physikalisches System plus aktives Selbstmodell plus die daraus resultierenden Globaleigenschaften — und dieses System als Ganzes trägt sehr wohl Verantwortung.»
«Der Begriff des Selbstmodells ist in gewisser Weise das, was man früher die Seele nannte», tröstet Metzinger. «In dieser Betrachtungsweise gibt es allerdings für das Selbstmodell keinen Grund mehr, weiterzuleben, wenn der Körper stirbt. Das Selbstmodell verschwindet einfach mit dem Tod.» Das sei eine bittere Pille, meint der Philosoph, und wer so tue, als ob ihm das gleichgültig sei, der mache sich vermutlich etwas vor.>> Quelle: http://www.physiologus.de/seele.htm
Wenn es sich so verhält, wie ich behaupte – daß der Leib kein Selbstmodell kreiert, sondern diese Kreation bereits selbst ist, gilt Metzingers Schluß, die Seele vergehe mit dem Tod des Leibes, natürlich nicht.
In diversen Interviews, die man leicht im Internetz finden kann, weist Metzinger Vertretern von Ideen, die den meinen nahestehen, stets darauf hin, daß diese „Esoteriker“ mit ihren Einwürfen keinen Erkenntnisgewinn brächten. Ich entgegne, daß es im Falle, daß er recht hat, „Erkenntnis“ gar nicht gibt. Er meint natürlich „wissenschaftlichen Fortschritt“. Ich verstehe unter „Erkenntnisgewinn“ neue subjektive Fähigkeiten, zB die, bewußt an meinem Welt- und Selbstmodell verändernd eingreifen zu können und damit das empirische Erlebnis hervorzurufen, daß diese Veränderungen Einfluß auf die „physische Basis“ (die keine ist, sondern ein Weltmodell) haben.
Leserbrief:
[Metzinger]: „Nur engt sich jetzt auch für die allgemeine Öffentlichkeit, für den Normalbürger, der Spielraum dessen zunehmend ein, woran er als Privatmensch noch glauben kann – ohne vom Rest der Gesellschaft belächelt zu werden. Wer dem wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt offen begegnet, kann bald nicht mehr an so etwas wie ein personales Überleben nach dem Tode glauben.“Wir sehen hier in Metzingers Kommentar, wie er mit der Autorität der Mehrheitsentscheidung droht: „ohne vom Rest der Gesellschaft belächelt zu werden.“ Mit anderen Worten: Die Mehrheit weiß die Wahrheit; wer davon abweicht wird – im positiven Falle – belächelt – im negativen Falle – verleumdet; von Schlimmeren einmal abgesehen. Die Frage, woher die Mehrheit die Wahrheit weiß, kann man dann so beantworten: natürlich von Metzinger! Mit anderen Worten: „Wer nicht für mich ist, ist gegen mich!“ Metzinger unterstellt dann auch einer Person, die nicht seine Meinung übernimmt, nicht ‚offen’ [!] zu sein. Das ist ist Totschlagargument [argumentum ad hominem]: „Wenn Du nicht glaubst, was ich sage, dann bist Du widerspenstig, verbohrt, verschlossen.“ Auch subtil die Art und Weise, wie Metzinger eine Dringlichkeit inszeniert: ‚bald nicht mehr’. Also, im Augenblick schon noch, aber – und das ist die Suggestion – die wissenschaftliche Forschung kommt mit lawinenartigen Erkenntnissen heraus, die – sobald die Mehrheit das geschluckt hat – keinem die Wahl lässt, sich der Wahrheit, sozusagen, noch länger zu ‚verschließen’. Neben der Auschwitzlüge wird dann wohl eines Tages die ‚Unsterblichkeitslüge’ strafbar!
Metzinger benutzt finsterste Manipulations- und Einschüchterungsmethoden, um Menschen, die seine Vorstellung von der Wirklichkeit nicht teilen, zu dominieren! Das bestätigt meinen ersten Eindruck, den ich Dir geschildert hatte; diese dominante und arrogante Art der demagogischen Überlegenheit.
Letztlich geht es immer wieder um dasselbe: Menschen mit allen Mitteln – subtilen wie weniger subtilen – dazu zu bringen, die Wirklichkeit auf eine Weise wahrzunehmen, wie es denen beliebt, die die Macht ausüben.
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