Hans-Joachim Heyer

Dr. Martin Bergbauer – Wie aus dem Chaos Geist entsteht

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Was kommt dabei heraus, wenn ein promovierter Mediziner ein Physikbuch schreibt? Gleichwie der Schuster bei seinem Leisten, sollte doch ein Mediziner bei seinen Patienten bleiben! Oder?

Dürfen wir erwarten, von einem Mediziner die Physik besser erklärt zu bekommen, als etwa von einem studierten Physiker?
Für uns Laien lautet die Antwort eindeutig ‚ja!‘ Die sog. Experten haben ja keine Ahnung, wie schwer wir Laien von Begriff sind! Schon die harmloseste Formel stürzt uns in tiefste Verwirrung und ihr Fachchinesisch bleibt selbst dann Chinesisch, wenn sie Deutsch schreiben. Aber welcher Experte publiziert heute noch in Deutsch?

Hinzu kommt, daß fachfremde Autoren nur selten so eng auf ihr Thema beschränkt sind wie die Fachmänner. Sie wissen halt nicht, wo ihre Kompetenz endet und sie zu schweigen haben! So ist es nicht wunderlich, daß Bergbauer den engen physikalischen Rahmen nicht eingehalten und Ausflüge in weitere Regionen des Denkens unternommen hat:

Dieses Buch ist eines der wenigen, in dem der Versuch gewagt wurde, die Erkenntnisse der modernen Physik mit denen der Philosophie zu verbinden.

Während Bergbauer uns mit dem Denken der alten Philosophen bekannt macht, zeigt er uns, wie sich aus Philosophie langsam Naturwissenschaft entwickelt hat und wie die Fundamente des heute allgemein gültigen Weltbildes gelegt wurden. Diese werden heutzutage als dermaßen selbstverständlich hingenommen, daß sie fast vollkommen aus dem Blick verloren und nur allzu selten einer kritischen Prüfung unterzogen werden.

Zwar sind wir uns einigermaßen bewußt darüber, daß die Wissenschaft nicht nach Urhebern, sondern nach Ursachen fragt, aber ist uns auch gegenwärtig, was denn genau ‚Ursachen‘ sind? – Sie sind ganz einfach die jeweils drunterliegende Schicht im Theorie-Bauwerk! Und das ganze System dieser Ursachenforschung nennt man Reduktionismus – in Anlehnung an diese Methode, daß die Grundlagen immer einfacher sind als das, was auf ihnen aufgebaut ist. Reduktionismus ist die Suche nach Gemeinsamkeiten bei einer Ansammlung unterschiedlicher Beobachtungen. So führte Newton erstmals die unterschiedlichen Beobachtungen des Falles eines Apfels und der Bewegung des Mondes auf die gemeinsame Ursache ‚Gravitation‘ zurück. Nach meiner Überzeugung ist die notwendige Folge dieses Systems der Wahrheitssuche die Entwicklung der Urknalltheorie. Der Urknall ist der Schlußpunkt aller Reduktionsschritte und folglich der Anfang unseres Universums. So ist die Zukunft der Wissenschaft seit Einführung der reduktionistischen Methode vorgezeichnet. Es kam wie es kommen mußte:

Bergbauer erzählt uns den Weg, wie die Wissenschaft im Laufe der Jahrhunderte aus dem verwirrenden Wust aus Einzelbeobachtungen nach und nach immer umfassendere Gemeinsamkeiten zu extrahieren lernte, bis schließlich nur noch fünf verschiedene Kräfte und ein Dutzend elementarer Teilchen übrig blieben. Und selbst diese sollen noch zu einer einzigen Formel, der Weltformel, zusammengefaßt werden, die nur noch eine einzige Kraft enthielte, welche in nur einem einzigen raumlosen ‚Punkt‘ konzentriert wäre, der dann im Urknall explodiert.

Doch so weit ist die Wissenschaft noch nicht. Nachdem nun Arbeitsweise und Zielsetzung der Naturwissenschaft vorgestellt sind, lassen wir ihre ereignisreiche Geschichte Revue passieren: Wie gesagt, beginnt Bergbauer mit den griechischen Philosophen und stellt im Besonderen Thales als den Begründer der reduktionistischen Methode vor (S. 21). Empedokles erfand einen weiteren Baustein des naturwissenschaftlichen Systems: die Kraft (S. 37) , Leukipp entwickelte wohl erstmals die Vorstellung von Atomen.

So geht’s im Schnelldurchgang durch eine Reihe weiterer Philosophen, wir verweilen ein wenig bei Galilei, der die gezielte Befragung der Natur – das Experiment – erfand, lernen Descartes und den Beweis seiner Existenz kennen und landen schließlich bei den Giganten der Neuzeit: Newton und Einstein. Newton war wohl einer der ersten richtigen Wissenschaftler, der an allgemeingültige Naturgesetze glaubte, nach denen sich die Materie zu richten hatte (S. 75) und war dadurch im Stande, ein kosmologisches Denkmodell zu errichten: eine Theorie vom Universum. Er hatte sich gegen die Ideen von Leibniz durchgesetzt, der glaubte, daß die Naturgesetze der Materie innewohnen (S. 75). Warum Newtons Ansatz erfolgreicher als Leibnizens war, bleibt mir trotzdem rätselhaft – zumal ich glaube, daß die Theorien von Leibniz seit Erfindung der Quantentheorie wesentlich moderner scheinen. Nachdem wir Newton, der das Westliche Weltbild bis heute entscheidend prägte, kennengelernt haben, sind wir schnell bei Maxwell, dem Erforscher des Elektromagnetismus und Einstein, der dann den Newtonschen Raum und die Zeit in einen neuen Rahmen stellte.

Wir erleben mit, wie es den Forschern gelang, die elektrische und die magnetische Kraft zu einer einzigen, der elektromagnetischen, zu verschmelzen. Und wie sie dann die dritte, die ’schwache Kraft‘, mit dieser zur ‚elektroschwachen Kraft‘ verbanden. Dann kam die ’starke Kraft‘ hinzu, und das Ganze nannte sich dann ‚GUT-Kraft‘. Wie sich diese dann mit der letzten noch unvereinigten Kraft, der Gravitation, zusammenfassen läßt, ist heute noch unklar, aber es gibt bereits Theorien, die auch hier eine Lösung anbieten: die sog. STRING-Theorien, die das Weltganze auf vibrierende Fäden reduzieren.

Die Methode des wissenschaftlichen Reduktionismusses ist – falls ich Bergbauer richtig verstanden habe – eng mit dem Prinzip der Symmetrie verbunden. Die Naturgesetze seien symmetrisch; die den Gesetzen gehorchende Materie sei Folge von Symmetriebrüchen. Die Konstanten in der Natur seien Erscheinung von Symmetrien:

„Wenn irgendwo eine Symmetrie existiert, bedeutet dies, daß ein bestimmter Bestandteil des Beobachtungsgegenstandes durch eine bestimmte mathematische Operation keine Veränderung erfährt“ (S. 209).

Bergbauer hält die Symmetrie für ein Prinzip der Natur. Ich wurde jedoch den Verdacht nicht los, daß dieses Prinzip bloß eine Folge unserer Beobachtungsmethode ist: Für alles, was wir wahrnehmen, brauchen wir ja einen ruhenden Maßstab bzw. einen Rahmen, den wir in Relation zu den Wahrnehmungen setzen. Das Schwarze, das wir mit geschlossenen Augen sehen (s. AussenInn.html), ist der Raum, der hernach Ordnungsfaktor aller wahrgenommenen Dinge ist. Den Größenmaßstab leiten wir von unserer Körpergröße ab; die Zeit letztendlich von unserem Lebensalter, wie wir es empfinden. Unsere materiellen Körper sind offensichtlich die Maßstabgeber und somit Ursache der Symmetrien.

Ich bin nicht der einzige, der wissenschaftliche Erkenntnisse in Zweifel zieht. Der Autor des Buches durchlöchert an anderen Stellen die so klar vorgetragenen Theorien selbst. Vielleicht ist es ein Kunstgriff des Autors, vielleicht menschliche Unfähigkeit (die wir sicher alle mit ihm teilen), daß wir die Klarheit unserer Gedanken nur aufrecht erhalten können, wenn wir bestimmte Einwände und kritische Hinterfragungen beiseite schieben und an anderen Stellen und zu anderen Zeiten erörtern.

Beispielsweise erörtert Bergbauer einerseits, daß entsprechend der Quantentheorie der bewußte Beobachter die Messung beeinflußt; andererseits folgt er der veralteten darwinistischen Auffassung von einer blinden Evolution. Wenn Raum und Zeit vom menschlichen Bewußtsein geschaffene Wahrnehmungsrahmen sind, dann sind diese Rahmen vom menschlichen Willen her veränderbar und die im Rahmen erscheinenden Bilder (Messungen) ebenso. Dann kann die Evolution nicht mehr planlos (S. 83) sein. Vielmehr verschleiert der Darwinismus die Existenz der Pläneschmiede.

Auf Seite 180, 199 und an anderen Stellen schreibt Bergbauer, daß Theorien wie die von Immanuel Kant, durch die moderne Quantentheorie wieder an Bedeutung gewonnen hätten, wonach Raum und Zeit ‚… apriori – Eigenschaften‘ der menschlichen Vernunft seien und nicht irgendwelche Größen da draußen. Die Wissenschaft verzichte hilflos auf Erkenntnisse, wie die von Kant geäußerten, weil sie nicht weiß, wie man sie in Taten umsetzen könnte.

Der Autor schreibt (auf S. 183), daß wir die Dinge (Teilchen) der wahrnehmbaren Welt als begriffliche Stütze selbst erschaffen würden, daß es jene Teilchen erst gebe, wenn wir sie betrachten usw. Er schreibt, daß Masse und räumliche Reichweite von Teilchen ein umgekehrt proportionales Verhältnis zueinander aufweisen, sodaß Masse in Distanz und umgekehrt umwandelbar sei. Demnach wäre Distanz eine andere Sichtweise für Masse, gleichwie die Zeit eine andere Sichtweise einer Raumdimension sein soll.

Wer legt die Sichtweise fest? Ich denke, wir sind es selbst. Und auch Bergbauer scheint – zumindest zeitweise – so zu denken. Auf den Seiten 202 und 203 lesen wir:

„…’Sein ist Wahrgenommen-Werden‘ oder ‚Sein ist Wahrnehmen‘. Eine moderne physikalische Entsprechung erhält diese Philosophie durch die klassische Interpretation der Quantenphysik. Auch hier schafft nach der Kopenhagener Deutung erst das wahrnehmende Bewußtsein die Realität. Ohne Wahrnehmung gibt es nach Niels Bohr keine Quantenwelt. … Dies würde auch bedeuten, daß ich mir eine beliebige Realität erschaffen kann, allein durch meine Vorstellungskraft.“

Wenn man solche Sätze gelesen hat, mutet es befremdlich an, wenn Bergbauer dann fortfährt, die Geschichte der Physik und der Kosmologie und Astronomie zu erzählen, ohne diese Erkenntnisse über die Einflüsse der menschlichen Vorstellungskraft zu berücksichtigen. Warum er es nicht tut, erfahren wir schließlich auf Seite 208:

„Wittgensteins Schlußfolgerung: ‚Worüber man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen!‘ Wir folgen diesem Rat und beschäftigen uns im folgenden weiter mit den Dingen – ob real oder nicht-, die durch naturwissenschaftliche Forschung beschrieben werden können.“

In diesen Worten tritt die ganze Hilflosigkeit der Naturwissenschaft zutage: sie befaßt sich mit den Erscheinungen, auch wenn sie illusorisch sind, weil sie mit dem ‚Ding an sich‘, der Wahrheit, die dahintersteht, nicht praktisch umgehen kann. So bleiben die Erkenntnisse der Philosophie in der Wissenschaft unberücksichtigt.

Auf Seite 206 lesen wir:

„Die prinzipielle Falsifizierbarkeit ist also das wesentliche Kriterium, mit dessen Hilfe wir Wissenschaft von Scharlatanerie unterscheiden können. Deshalb ist Metaphysik auch keine Wissenschaft.“

Falls diese Sätze stimmen, gehört die WAHRHEIT auch nicht zur Wissenschaft, denn sie ist nicht falsifizierbar. Und daß in der Wissenschaft nicht nur alles falsifizierbar sein, sondern gar falsifiziert werden muß – daß alle Wissenschaft aufgrund ihres methodischen Fehlers letztendlich falsch sein muß, geht aus folgendem Zitat (S. 400) hervor:

„Egal wie weit Wissenschaft und Technologie auch ausreifen mögen, es werden immer Fragen zurückbleiben, die sich nicht entscheiden lassen. Die Beschreibung der Realität muß so immer bruchstückhaft bleiben.“

Bergbauer hat auf Seite 484 ein Beispiel dafür gegeben, wie er das meint:

„Aber dennoch scheint etwas Grundsätzliches an diesen Theorien (der modernen Naturwissenschaft) zu fehlen, … eine Ursache hierfür (für den Fehler) könnte darin liegen, daß das, was wir als Naturgesetze erachten, in Wahrheit gar keine sind. … Ein abgeschossener Pfeil nähert sich während seines langsamer werdenden bogenförmigen Fluges der Erde und kommt auf dieser zur Ruhe. Dies ist kein Naturgesetz! Galilei erkannte, daß der Pfeil mit unverminderter Geschwindigkeit fliegen würde, wenn der Luftwiderstand aufgehoben wäre. … Das ist ein Naturgesetz! Wirklich? Vielleicht müßten wir uns ja außerhalb unseres Bezugssystems begeben, um zu erkennen, daß wir bei der Beschreibung dieses Vorganges einer bisher nicht entdeckten Anfangsbedingung auf den Leim gegangen sind.“

Das besagt, daß Galilei gegenüber Aristoteles neue Anfangsbedingungen kreierte, indem er einen anderen STANDPUNKT einnahm. Später nahm dann Newton einen noch anderen Standpunkt ein, bis nun Einstein wiederum die Betrachtungsweise änderte und alles naturwissenschaftliche Wissen Newtons falsifizierte. Der hatte dann doch nicht die Naturgesetze entdeckt, sondern nur (‚Newtonsche‘) Näherungen. Diese wurden von der Einstein’schen Näherung abgelöst, und diese werden zukünftig und bis in alle Ewigkeiten von immer größeren Näherungen abgelöst werden, ohne je die Wahrheit zu erreichen – gleichwie bei Zenons Paradoxon vom Wettlauf des Achilles mit einer Schildkröte, wonach jener diese nie einholen kann (S. 417), weil Zenon mit dem Unendlichkeitsbegriff falsch umgegangen ist. Ich behaupte, daß die Wissenschaft auch heute noch mit diesem Begriff falsch umgeht und deshalb eine unendliche Kette von Theorien produziert – und das alles, weil sie bis heute zB Kant nicht verstanden hat. Auf Seite 434 schreibt Bergbauer:

“Obwohl es auch heute noch philosophisch orientierte Interpretationen geben mag, die den Zeitbegriff von Kant als subjektive Verknüpfung innerer Ereignisse begreifen, muß man dennoch feststellen, daß diese Vorstellung schlichtweg falsch ist. Seit Einstein ist nämlich klar, daß die Zeit keineswegs eine innere Vorstellung ist,….“

Der Autor hat hier nicht bedacht, daß es gerade unsere spezielle Wahrnehmungsweise, nämlich immerzu drei Raum- und eine Zeitdimension zu sehen, ist, die uns in Extrembereichen jene Verzerrungen beschert, die Einstein dann so schön in Formeln gefaßt hat. Einstein lieferte eine Rechenvorschrift, die uns ermöglicht, einen anderen Standpunkt einzunehmen, als uns unsere Sinnesorgane vorschreiben.

Wenn ich eine zweidimensionale Ameise hochhebe und ihr einen Globus zeige, wird sie mit ihren 2-D-Augen relativistische Eindrücke empfangen, denn sie könnte nie die Kugel als Kugel sehen, sondern eine Projektion, an deren Rändern alles merkwürdig verkürzt aussähe. Entsprechend zu diesem Beispiel sind es unsere Wahrnehmungskathegorien, die festlegen, welche Dimension wir als Raum, Zeit, Gravitation oder Expansion des Universums wahrnehmen.

Die Ursache dafür, daß wissenschaftliche Aussagen nie ganz richtig sein können, liegt darin begründet, daß sie grundsätzlich nur Erscheinungen produzieren können, und diese können niemals mit ihren Ursachen, den wahren Naturgesetzen, identisch sein.

Die Schwäche dieses Buches, philosophische Erkenntnisse nicht auf die Naturwissenschaft anwenden zu können, ist nicht vom Autor verschuldet. Sie ist eine Schwäche – ein Systemfehler – des derzeit herrschenden Zeitgeistes bzw. Massenbewußtseins, der eine solche Verknüpfung nicht zuläßt.

Beispielsweise mag die Philosophie erklären, was Zeit ist, aber die Wissenschaft kann damit nichts anfangen, weil ihr keine Experimente dazu einfallen. Auch die modernen Erkenntnistheorien bleiben bei der Naturwissenschaft außen vor.

Zu Beginn meiner Buchbesprechung schrieb ich, daß der Autor aufzeigt, wie die Wissenschaft aus Philosophie hervorging. Dies geschah durch eine Abwendung von der Überzeugung, daß die den Sinnen zugängliche Welt ein Bild und nicht die Welt selbst sei. Deshalb hatten sich ja auch die Priester geweigert, durch Galileis Fernrohr zu schauen. Diese Verweigerung wird heute hochnäsig belächelt; man hätte sich besser mal gefragt, warum die Alten den Sinnen mißtrauten und wie sie zu Erkenntnissen kamen. Dann hätte man möglicherweise früher erkannt, welch unsinniges Unterfangen es war, die Welt so abzubilden zu versuchen, wie sie ist (S. 12) und der Erkenntnis durch Vernunft (S. 13) hätte ein Hindernis weniger im Wege gestanden. Die Suche nach dem Einen, dem letzten Baustein der Natur, der sowohl Materie, Energie, Zeit und Raum erklären kann (S. 14) wäre schneller von Erfolg gekrönt worden. Die Natur ist nämlich sowohl reduktionistisch als auch holistisch organisiert (S. 62). Man muß beide Wege gleichzeitig gehen.

Die in Bezug zum Messenden stets gleichbleibende Lichtgeschwindigkeit (S. 93) sollte zu denken geben darüber, wie sehr der Messende, der Mensch, das Wahrgenommene beeinflußt, ja geradezu erzeugt. Der Messende ist stets der Maßstabgebende. Die Relativitätstheorie stellt nur das Bestreben dar, die Messungen in einem Bezugssystem für ein anderes umzurechnen, wodurch der Eindruck aufrecht erhalten werden kann, wir würden alle in einer gemeinsamen objektiven Welt leben.

Trotz meiner Einwände halte ich es für wichtig, die Theorien der Naturwissenschaft zu kennen. Und da ist kaum ein Buch besser geeignet, als dieses, denn Bergbauer schildert nicht nur diese Theorien selbst, sondern erzählt auf spannende Weise, wie die Forscher über Generationen hinweg das Theoriengebäude errichtet haben. Für mich war die Lektüre dieses Buch so besonders wertvoll, weil ich aus ihm lernen konnte, wie man komplizierte Sachverhalte anschaulich erklären kann. Der Autor scheint von seiner Gabe, gut erklären zu können, zu wissen, denn auf Seite 387 erklärt er, wie man unverständliche mathematische Formeln für die menschliche Vorstellungskraft zugänglich machen kann: indem man das Wirkungsprinzip beschreibt.

Außerdem wurde mir jetzt erst richtig bewußt, wie sehr Naturwissenschaft und Philosophie unvereinbare Denk- und Wissenssysteme sind, sodaß man mit den Erkenntnissen aus der einen Sparte in der anderen nichts anfangen kann. Dieser Sachverhalt hat mich wieder einmal in höchstes Erstaunen versetzt.

Zum Schluß noch ein paar Zitate, die nicht mehr Eingang in die Buchbesprechung selbst fanden, dem Leser aber nicht vorenthalten werden sollen, um ihm den Mund zur Anschaffung dieses wirklich gelungenen Buches ein wenig mehr wäßrig zu machen:

S: 175: „… konnte John Bell zeigen, daß jede Theorie nicht-lokal sein muß.“ (Es gibt keinen objektiven Raum)
S. 181: „… daß die Partikel … nichts anderes sind als unsere bildliche Vorstellung einer mathematisch erfaßbaren Beziehung.“ (S.183:) Teilchen sind also nicht da, wir schaffen sie sozusagen als begriffliche Stütze.
S. 184: „Heutige Physiker verstehen die Rolle des Beobachters in bezug auf die Festlegung der Realität meist ausschließlich in der Quantenwelt und sind nicht geneigt, diese Erkenntnisse auf makroskopische Maßstäbe zu übertragen oder gar darüber hinausgehende philosophische Konsequenzen zu ziehen….“.
S. 195: „Die Realität des Universums besteht in heutigen physikalischen Weltbildern nicht mehr aus materiellen Gegenständen. Wechselwirkungen unterschiedlicher Prozesse, die wir mal als Materie, mal als Licht oder eine andere Form der Energie wahrnehmen, sind die tiefere Schicht der Wirklichkeit. Die materialistische Wissenschaft war bei der Erforschung der Materie so erfolgreich, daß sie sich selbst ihrer Grundlagen beraubt hat.
S. 269: „Elektromagnetismus ist hiernach nur eine andere Erscheinungsform der Gravitation in einem höherdimensionalen Raum.“
S. 297: „Es ist so, als ob das Elektron da, wo für uns eine Umgebung existiert, zwei verschiedene Umgebungen sehen kann. Irgendwie bewegt es sich also in einer anderen Dimension oder empfindet eine andere Geometrie des Raumes als wir.“
S. 431: „Wo ist die Zeit also? Sie scheint ein Punkt zwischen zwei Dingen (Vergangenheit, Zukunft) zu sein, die es nicht gibt. Existiert die Zeit überhaupt?
S. 461: „Tatsache ist jedenfalls, daß unser Bewußtsein viel weniger mit unseren geistigen und körperlichen Aktivitäten zu tun hat, als wir zu glauben bereit sind.“ (S. 472:) Wie kann aber eine physikalische Struktur wie unser Gehirn etwas hervorbringen, das nicht den Gesetzen eben dieser Physik unterliegt?“

Die Frage des Buchtitels, wie aus Chaos Geist entstanden ist, wurde – wie obiges Zitat deutlich macht – nicht beantwortet. Ich glaube, der Autor hat diesen Titel unbewußt gewählt, weil dieser eine seiner ungelösten brennenden Fragen darstellt, die ihn beim Schreiben des Buches ständig im Kopf herumgeisterte. Möglicherweise wird ihn sein nächstes Buch der Antwort näher bringen.

Antwort von Prof. Dr. Martin Bergbauer:

Wesentliche Kernpunkte in der kritischen Stellungnahme von Heyer sind notwendige und zielgerichtete Verfahrensweisen, die der Natur sozusagen als inhärente Eigenschaften Existenzformen und zukünftige Entwicklungen diktieren. Zwar beschreibt auch Heyer in meinen Augen treffend den Reduktionismus als eine Methode, die darauf aufbaut, „daß die Grundlagen immer einfacher sind als das, was auf ihnen aufgebaut ist“, dennoch zieht er aus dieser Tatsache zu weit reichende Schlüsse. Die Schlußfolgerung, daß der Urknall Schlußpunkt aller Reduktionsschritte und folglich der Anfang unseres Universums sei, ist nicht so einfach aus einer wissenschaftlichen Methode, wie dies der Reduktionismus ist, ableitbar. Vielmehr erlaubt auch eine reduktionistische Arbeitsweise andere Theorien als die der Urknalltheorie. Als Beispiel sei hier nur die sogenannte Steady State Theorie erwähnt, die in den 40-er Jahren von Bondi und Gold entwickelt und später von Fred Hoyle modifiziert wurde. Dieses alternative Szenario kommt ohne Schaffung einer Welt aus einem heißen Urknall aus und erklärt die beobachtbare Expansion des Universums durch ständige neue Materieerschaffungen. Heutzutage sind die Beweise für den Urknall jedoch so überzeugend (kosmische Hintergrundstrahlung, COBE-Messung, Elementverteilung etc.), daß die Urknalltheorie zum Standardmodell avancierte. Dennoch muß festgehalten werden, daß auch die Theorie von Bondi und Gold sich ausschließlich reduktionistischer Schritte bedient und dennoch zu völlig anderen Schlußfolgerungen als die Urknalltheorie kommt. Der Urknall ist deshalb nicht, wie Herr Heyer meint, notwendige Folge des Reduktionismus, sondern eine der vielen theoretischen Möglichkeiten, die durch eine wissenschaftlich reduktionistische Methode beschrieben werden können. Welche dieser Theorien nun richtig ist, muß an den vorgefundenen Gegebenheiten überprüft werden. Und diese sprechen nun einmal für das Urknallmodell.

Das wichtigste Prinzip, welches von den Physikern in unserem Jahrhundert entdeckt wurde, ist das der Symmetrie. Dieses Modell ist so erfolgreich, daß heute keine physikalische Theorie mehr ohne diesen Begriff auskommt. Bei diesem Begriff handelt es sich jedoch nicht, wie Heyer meint, um eine Folge unserer Beobachtungsmethode. Die Symmetrie ist offenbar eine inhärente Eigenschaft aller natürlichen Prozesse, auch ohne daß es eines subjektiven Beobachters hierfür bedarf. Hierbei geht es eben explizit nicht um den Vergleich anderer Größen bspw. mit der eigenen menschlichen Größe, sondern um weitaus abstraktere Symmetrien, die sich eben nur adäquat durch mathematische Formalismen darstellen lassen. Daß Symmetrie keine Eigenschaft des subjektiven menschlichen Naturverständnisses ist, belegen bspw. die Teilchen-Physiker, die aufgrund der Symmetrien, die in der mathematischen Beschreibung der Teilchen und Kräfte vorkommen, sogar neue, bisher unbekannte Teilchen voraussagen können. Mehrfach wurde in der Vergangenheit dieses symmetrische Naturverständnis durch die Entdeckung neuer Teilchen bestätigt, zuletzt durch die Entdeckung des Top-Quarks, welches ausschließlich aufgrund symmetrischer Naturprinzipien vorausgesagt wurde. Symmetrie ist somit keineswegs mit dem ästhetischen menschlichen Empfinden zu verwechseln, sondern beschreibt offenbar ein grundlegendes Prinzip der Natur, welches auch ohne menschliche Intervention für die Existenz von Teilchen und Kräften verantwortlich ist.

Heyer folgert aus der Wigner’schen Interpretation der Quantenphysik, wonach ein bewußter Beobachter die Ergebnisse einer Beobachtung auf Quantenniveau  beeinflußt, daß die „veraltete Darwinistische Auffassung von einer blinden Evolution“ falsch sein müsse. Hierzu ist anzuführen, daß es sich bei Wigners Modell keineswegs um eine gesicherte Erkenntnis handelt, sondern daß dieses Modell heute von der überwiegenden Zahl der Quantenphysiker entschieden abgelehnt wird. Daß die Beobachtung die Realität erschafft, gründet sich auf die Interpretation der Quantenphysik der Kopenhagener Schule, die zuerst treffend beschrieben hat, daß die Beobachtung eines Quantenprozesses nicht möglich ist, ohne diesen in irgendeiner Form zu beeinflussen. Das später von Wigner ausgearbeitete Modell des bewußten Beobachters wurde bereits von Schrödinger nicht akzeptiert und durch seine berühmte „Quantenkatze“ ad absurdum geführt. Wie dem aber auch sei, mit der Darwin’schen Evolutionstheorie hat dieses sicherlich überhaupt nichts zu tun. Darwins Evolutionstheorie als veraltet zu bezeichnen, ist ein Schlag ins Gesicht der gesamten empirischen Wissenschaften. Es gibt sicherlich keine wissenschaftliche Erkenntnis, die so abgesichert und über jeden Zweifel erhaben ist wie das Evolutionsmodell von Charles Darwin. Es konnte bis heute kein Hinweis gefunden werden, der an der Richtigkeit dieses Denkmodells einen berechtigten Zweifel aufkommen lassen könnte. Dies gilt insbesondere, da es sich hier nicht nur um ein theoretisches Modell handelt, sondern um eine Tatsache, die ständig durch Fossilienfunde und durch biochemische Erkenntnisse gestützt wird. Es kann heute kein Zweifel mehr an der Evolution bestehen. Auch besteht kein Zweifel mehr an den Mechanismen der Evolution. Und diese sind eben nicht teleologisch, sondern durch Versuch und Irrtum gekennzeichnet. Dieses Modell ist sogar so erfolgreich, daß es heute nicht nur auf die biologischen Wissenschaften angewandt wird, sondern auch im Bereich der Ökonomie, der Sozialwissenschaften, der Psychologie bis hin zu der Bewußtseinsforschung Anwendung findet.

Heyer behauptet weiterhin, daß selbst Raum und Zeit vom menschlichen Bewußtsein  geschaffene Wahrnehmungsrahmen seien und daher auch vom menschlichen Willen veränderbar seien. Dies erinnert mich deutlich an die tendenziell solipsistische Grundhaltung eines George Berkley, der die inakzeptablen Schlußfolgerungen seiner Philosophie – nämlich die unbegrenzte Potenz menschlichen Willens – nur dadurch retten konnte, daß er dieser Omnipotenz einen göttlichen Riegel vorschob.

Wie Heyer jedoch die offensichtliche Diskrepanz zwischen wahrnehmbarer Realität und Schaffenskraft des menschlichen Bewußtseins erklären will, bleibt ungeklärt. Auch wird nicht beantwortet, in welcher Form die „Pläneschmiede“ existieren soll, die unsere Umgebung gestaltet hat. Der Darwinismus belegt demgegenüber, daß es Entwicklungen der organischen Chemie bis hin zu kompletten Lebensformen weit vor der Zeit des menschlichen Bewußtseins gegeben hat.     

Heyer bemängelt, daß die moderne Wissenschaft der Kant’schen Erkenntnis einer Apriori-Eigenschaft von Raum und Zeit hilflos gegenüberstehe. Hierbei übersieht er jedoch, daß der Raum-Zeitbegriff von Kant heute an den Erkenntnissen der modernen Physik  überprüft werden muß. Während Kant noch glaubte, daß Begriffe wie Raum und  Zeit keine äußere Bedeutung haben  können, da sie lediglich der notwendige subjektive Rahmen seien, in dem sich das menschliche Denken bewegt, hat Einstein bewiesen, daß Raum und Zeit völlig andere Aspekte als lediglich die einer inneren Verknüpfung haben. Es handelt sich hierbei vielmehr um Begriffe, die in Zusammenhang mit Gravitation und Lichtgeschwindigkeit beschrieben werden müssen. Und hierbei handelt es sich eben nicht um subjektive und variable Eigenschaften, sondern um Konstanten, die in jedem beschreibbaren physikalischen Prozeß ihre Gültigkeit behalten. Es geht hier also nicht, wie Heyer meint, um die Festlegung von Sichtweisen, sondern um die Erkennung von unveränderlichen Größen. Heyer führt Einstein auch als Kronzeugen für seine Behauptung an, daß der messende Mensch das Wahrgenommene beeinflusse. Aber gerade das Gegenteil hat Einstein bewiesen. Denn die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit in unterschiedlichen Bezugssystemen belegt ebenso eindrücklich wie nie zuvor, daß es etwas Unveränderliches, von unseren Messungen Unabhängiges in der Natur gibt, welches sich jeder Einflußnahme durch den denkenden oder messenden Menschen entzieht. Und dieser ruhende Pol, die Einstein’sche Verläßlichkeit für Objektivität in unserem Universum, ist eben die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit.

Es ist also nicht der Mensch, der irgendwelche Realitäten erschafft, sondern dieser hat sich bescheiden unterzuordnen in das universelle Gesamtgefüge, welches er als beobachtendes Mitglied ein klein wenig zu verstehen versucht.

Daß Wahrheit nicht falsifizierbar ist, ist lediglich eine sprachliche Tautologie. Popper benutzte den Begriff der Falsifizierbarkeit, um Wissenschaft von Scharlatanerie unterscheiden zu können. Hiernach muß ein seriöser Wissenschaftler bei der Beschreibung einer neuen Theorie stets angeben, wie seine Theorie prinzipiell zu widerlegen wäre. Gelingt dieses, wird er die Theorie ad acta legen, gelingt dieses nicht, wird er sie weiterhin als vorläufiges Modell der Wahrheit benutzen. Die Wahrheit selbst  ist aber selbstverständlich keine falsifizierbare wissenschaftliche Theorie, sondern lediglich der sprachliche Begriff für die Annäherung unserer Theorien an die beobachtbare Wirklichkeit. Die Schlußfolgerung von Heyer, daß „alle Wissenschaft aufgrund ihres methodischen Fehlers letztendlich falsch sein muß“ entsteht somit aus einer sprachlichen Ungenauigkeit im Umgang mit dem Begriff der Wahrheit.

Ich glaube, auch Heyer meint nicht ernsthaft, daß alle Wissenschaft falsch sein muß. Zu vielfältig sind die Belege für effektiven wissenschaftlichen Fortschritt, wie auch immer dieser genutzt werden mag. Dennoch ist ihm darin übereinzustimmen, daß Wissenschaftler häufig zu sorglos mit dem Begriff der Wahrheit umgehen und es manchmal an kritischer Selbstreflektion fehlen lassen, die Karl Popper energisch eingeklagt hat. Dieser Gesichtspunkt führt zu der etwas bescheideneren Haltung, daß wir uns der Wahrheit zwar immer weiter annähern können, diese gewonnenen Erkenntnisse aber stets als vorläufig und möglicherweise niemals als abschließend betrachten können.

An mehreren Stellen beklagt Heyer, daß die empirische Naturwissenschaft unfähig sei, philosophische Erkenntnisse in ihrem Weltmodell zu berücksichtigen. Hier ist ihm uneingeschränkt zuzustimmen. Wissenschaftler neigen eher zu pragmatischen Gesichtspunkten und sind nicht bereit, die schwer verständlichen Abhandlungen der Philosophen zu lesen, die ihr Tätigkeitsfeld aus einem völlig anderen Blickwinkel beleuchten könnten. Derselbe Vorwurf ist allerdings den Philosophen zu machen, die – von wenigen Ausnahmen wie Popper abgesehen – die Philosophie so betreiben, als wenn es überhaupt keine naturwissenschaftliche Erkenntnis gäbe. Dieses führt dann dazu, daß zwei Forschungsgebiete, die gleichermaßen es sich zur Aufgabe gesetzt haben, die Welt zu verstehen, völlig aneinander vorbeireden. Ein Aufeinanderzugehen möglicherweise unter dem Preis einer Aufgabe lieb gewonnener Vorstellungen ist hier sicherlich notwendiger denn je.

Trotz dieser differenten Standpunkte, die Autor und Kritiker trennen, glaube ich, daß sie sich in einem Punkt einig sind. Weder Wissenschaft noch Philosophie sind abgeschlossene Gebilde, die uns heute eine eindeutige Antwort auf unsere brennendsten Fragen geben können. Zu oft haben wir in der Vergangenheit erleben müssen, wie herrschende Gedankengebäude gestürzt wurden. Ebenso ist es denkbar, daß wir auch in Zukunft zu einer radikal veränderten Sichtweise unserer Umgebung kommen. Die Frage ist lediglich, welchen Weg wir einschlagen wollen, um hierzu zu kommen. Der Unterzeichner ist jedenfalls der Auffassung, daß der bisher eingeschlagene Weg reduktionistischer Forschung trotz vieler Irrwege und verfehlter Anwendungen uns stetig vorangebracht hat. Wir haben Erkenntnisse und Fähigkeiten gewonnen, von denen unsere Vorfahren nicht einmal zu träumen wagten. Dies alles ist Ergebnis wissenschaftlicher Forschung und nicht Ausfluß mystischer oder ideologischer Überzeugungen. Wissenschaftler sind heute bereit zuzugeben, daß sie kein geschlossenes Weltbild präsentieren können. Dieses sollte ihnen nicht als Mangel ausgelegt werden, sondern als Bereitschaft stets weiterzulernen.

Prof. Dr. M. Bergbauer

Antwort an Prof. Dr. Martin Bergbauer

Professor Bergbauer argumentiert in seiner Stellungnahme ausnahmslos naturwissenschaftlich. Die philosophischen Überlegungen – in seinem Buch durchaus vertreten – fanden hier keinen Raum. So blieben Sätze wie „Die materialistische Wissenschaft war bei der Erforschung der Materie so erfolgreich, daß sie sich selbst ihrer Grundlagen beraubt hat“ unberücksichtigt und Bergbauer fiel in die veralteten Raster empirischer Denkweise zurück.   Jedenfalls konnte er diesen Satz nicht auf seine Vorstellungen von der Evolutions-  und der Urknalltheorie anwenden. Besonders die Richtigkeit der Evolutionstheorie wollte er nicht anzweifeln. Doch der Reihe nach:

Ich bleibe bei meiner Behauptung, daß bestimmte Verfahrensweisen der naturwissenschaftlichen Forschung vergangene und zukünftige Entwicklungen diktieren. Speziell zur Urknalltheorie möchte ich ergänzend folgendes Beispiel anführen, das zeigen soll, daß die reduktionistische Methode zwangsläufig zum Urknall führt.

Stellen Sie sich einen Baum vor, dessen Stamm zwei Äste bildet. Jeder dieser Äste bildet wiederum zwei Äste und so weiter.  Nun betrachten wir die äußersten Spitzen  der Baumkrone. Wenn wir von hier aus herausfinden wollen, wie der Baum gewachsen ist, müssen wir die reduktionistische Methode anwenden: Wir verfolgen zwei Ästchen zurück und stoßen auf eine gemeinsame Ursache, eine Astgabel. Durch weiteres Zurückgehen finden wir auch die ursächliche Verbindung zu weiteren Ästen und landen schließlich beim Stamm des Baumes.

Diese Methode, das Universum als Baum zu betrachten, die reduktionistische Methode, hatte beispielsweise Newton angewandt, als er den Fall eines Apfels und die Bewegung des Mondes (zwei Ästchen im Weltenbaum) auf die Astgabel „Gravitation“ zurückführte.  Das gleiche tun heute viele Physiker, wenn sie die fünf elementaren Kräfte zu einer einzigen „Urkraft“ zusammenführen wollen. Sie konstruieren mit ihrer Methode zwingend einen Baum und finden notwendigerweise einen Baumstamm, sprich: Urkraft, Weltformel, Urknall. Die „Steady State-Theorie“ ist zwar im Rahmen reduktionistischen Denkens entstanden, jedoch geschah dies aus Unkenntnis der zwingenden Konsequenzen der Methode. Die Phantasie der Erfinder ging über den Reduktionismus hinaus; ihr Modell ähnelte mehr einem Gewebe, als einem Baum. Doch dann – als sie (reduktionistisch) die Ursachen von Erscheinungen suchten, konstruierten sie zwangsläufig einen verästelten Baum in ihr Gewebe hinein. Der Rest (Äste außerhalb des Kausal-Baumes) widersprach dem Reduktionismus und wurde als „falsifiziert“ aus der Theorie gestrichen. Übrig blieb die Urknalltheorie.

Beim Thema „Symmetrie“ macht Bergbauer einen Unterschied zwischen „menschlicher Größe“ und „mathematischen Formalismen“. Ich mache diesen Unterschied nicht, weil ich davon überzeugt bin, daß wir Menschen die Welt mit unseren geistigen Strukturen wahrnehmen, und daß die Mathematik nichts anderes ist, als eine Widerspiegelung jener Strukturen. Das Auge des Menschen kann sich selbst nicht sehen, wenn es die Welt betrachtet, aber seine Funktionsweise prägt allem Gesehenen seinen Stempel auf. Dieser Stempel fällt aus allen empirischen Beobachtungen heraus. Er ist unveränderlich, unsichtbar: eine Symmetrie.

Die Evolutionstheorie ist richtig, wenn wir in irgendwelche geistigen Gewebe kausale, reduktionistische „Bäume“ hineinkonstruieren. In so einem Baum ist eine Versteinerung, zB ein Archäopteryx (s. Seite 31 ) irgendwo in der Mitte der Baumkrone zu finden, ist also tot und versteinert. Radieren wir den Baum aus unserem Gewebe wieder heraus oder betrachten wir den Baum als ganze Realität, ist der Urvogel keine Vergangenheit mehr und lebt im ewigen Bewußtsein.

Unser Geist ist ein Gewebe, das Gedanken-Bäume erzeugen kann. Ein solcher Baum ist unser materielles Universum. Innerhalb dieses Systems stimmen Evolutions- und Urknalltheorie. Bergbauer ist noch in diesem Baum gefangen. Die neuen Theorien von den Wurmlöchern und Baby-Universen kommen dem alten Modell des „Steady State“ nahe. Sie werden – ich prophezeihe es – der reduktionistischen Methode zum Opfer fallen oder sie werden diese Methode  sprengen. In diesem Fall wird auch die Evolutionstheorie ihre Gültigkeit verlieren und der Kreationismus der „Pläneschmiede“, der Menschen, die ihre geistigen Strukturen ändern können, die Oberhand gewinnen. Der Omnipotenz dieser  Menschen wird tatsächlich ein Riegel vorgeschoben, da man diese Fähigkeiten nur gewinnen kann, wenn man dem lebendigen Prinzip, der Wahrheit oder Gott, dient.

Die „Quantenkatze“ ist keine Widerlegung von Wigners Modell. Das scheint nur so, solange man nicht begriffen hat, daß jeder Mensch nicht nur „seine eigenen“ Photonen sieht, sondern auch „seine eigenen“ Atome im subjektiven Universum kreiert, denen er mittels des „Tricks“, mit anderen Menschen gemeinsame Abbildungsstrukturen herauszubilden, den Anschein von Objektivität geben kann.  Ich gebe zu bedenken, daß dieser Sachverhalt vom Menschen des heutigen Zeitgeistes nicht verstanden werden kann.

Die Krümmung der Raumzeit ist kein Argument gegen Kant. Die gravitationsbedingte Krümmung des Lichts geschieht in einem EBENEN Raum, sonst würden die Krümmungen nicht feststellbar sein. Der ebene Raum ist unser subjektiver Wahrnehmungsrahmen. „Da draußen“ ist kein Raum! Da ist nur Struktur, die wir teilweise als Raum interpretieren.

Sobald man bei einer Theorie angeben kann, wie sie falsifiziert werden kann, ist gesichert, daß es sich um eine Theorie der Erscheinungen handelt, welche Ursachen ausschließlich in anderen Erscheinungen

sucht. Damit ist gewährleistet, daß nicht mehr nach der Ursache von Erscheinungen schlechthin geforscht wird. So wollen es die Pläneschmiede. Wahrheit ist nicht eine Annäherung an die Wirklichkeit! Sie ist die Wirklichkeit! Annäherungen sind immer falsifizierbar, da sie  nie Wahrheit sind. Sie entspringen einem falschen Umgang mit der Unendlichkeit, da das reduktionistische, empirische Verfahren eine Dimension zu wenig hat.

Der eingeschlagene Weg reduktionistischer Forschung war nicht für alle Menschen erfolgreich. Der Mensch dient zunehmend der Technik (s. S. 32). Es sollte umgekehrt sein; das widerspricht jedoch dem red. „Urknallprinzip“: Auch das Geld  fließt nach diesem Prinzip letztendlich in nur einen Geldbeutel, und der Rest der Menschheit hat das Nachsehen… 

Hans-Joachim Heyer
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