Hans-Joachim Heyer

Ein Traum (18)

Heute Morgen träumte mir, ich war am Eingang eines umzäunten Gebietes, >Bauhof< genannt. Der Eingang war bewacht, aber seltsamerweise ließ die Wache mich ohne nachzufragen passieren, als ich sagte, ich wolle in die Werkstatt. Ich irrte durch unbekannte Gänge mit grauem Teppichboden, überall nichtnumerierte Türen, alle paar Meter ein Seitengang – ein „Irrgarten“. Kein Mensch zu sehen. Nach einer Weile hörte ich drei (oder 2?) Männern, die um eine Ecke standen, bei ihrer Unterhaltung zu. Sie sprachen über einen Kollegen:
„Er arbeitet seit Jahrzehnten hier, und niemand weiß, was er macht!“ – „Er bekommt jeden Monat sein Geld.“ – „Er kommt pünktlich jeden Morgen und geht pünktlich bei Feierabend!“ – „In seinem Büro stehen viele Ordner im Regal, und es kommen jedes Jahr etliche Ordner hinzu.“
Ich irrte weiter durch die Gänge. Da ich nicht wusste, wer der Werkstattleiter, den ich sprechen wollte, war – ich wusste nicht, wie er aussah – , musste ich die Werkstatt finden, und der dort arbeitete, musste der Werkstattleiter sein. Eine Sekunde sah ich einen Glatzkopf um eine Ecke huschen.
Während meines Umherirrens, bei dem ich auf keine weiteren Menschen traf, fragte ich mich, wie es sein konnte, dass Kollegen seit Jahrzehnten miteinander arbeiteten, und dass diese drei immer noch nicht wussten, was der eine machte! Waren sie denn überhaupt nicht neugierig? Immerhin redeten sie über ihn, rätselten herum, aber offenbar war noch keiner auf die Idee gekommen, ihn zu fragen. Seltsam!
Da fiel mir ein, dass ich selber einmal (in der „Realität“) ein ähnliches Erlebnis* hatte. Ich lebe seit Jahrzehnten (mit einer langen Unterbrechung) in meinem Heimatdorf, und bei einem „Nachtschoppen“ (so will ich es mal nennen) behaupteten zwei der Betrunkenen (auch ich war betrunken), ich sei ein Versager, denn ich habe nichts gelernt und habe nie gearbeitet und würde von Sozialhilfe („meinem Geld!“) leben. Ich war erstaunt über ihre Aussagen, denn immerhin kannten sie mich seit meiner Kindheit und müssten eigentlich wissen – hätte so etwas wie echte Neugier vorgelegen – , dass ihre Behauptungen falsch waren.
Ich sagte: „Das stimmt nicht. Ich habe 4 Jahre auf Vermessungsingenieur studiert, 10 Jahre als Vermessungsingenieur gearbeitet, habe fast 5 Jahre Philosophie, Soziologie und Politik studiert (ohne Abschluss), habe über 10.000 Seiten geschrieben (ohne ein Buch zu schreiben) und habe viele Jahre Wahrheit gesucht und habe viel gefunden. Ich werde euch jedoch NICHT beweisen, das ich Ingenieur bin! Das habe ich nicht nötig!“
Meine Arbeit als Autor wollten sie nicht anerkennen mit dem Argument, dass ich ja kein Geld mit meiner Schreiberei verdient habe, und Arbeit, mit der man kein Geld verdiene, sei Hobby und keine Arbeit. Ich sagte, ich habe damit zwar kein Geld „verdient“, habe jedoch dafür (freiwilligen) Lohn und mehr bekommen. Es habe auch durchaus ein paar Vermögende gegeben, die mir Geld überwiesen haben, zum Teil nicht einmal wenig!
Sie wollten wissen, was meine Gegenleistung war. Ich sagte, ich betreibe seit Anfang der 90er Jahre im Internet eine >Schule für Lebenskunst< und diskutiere mit meinen Klienten per Email existentielle Fragen. Sie lachten mich aus und behaupteten, es gebe keine Wahrheit, keinen Sinn des Lebens und dergleichen Träumereien.
Sie wollten noch wissen, wieviele Schüler meine Schule denn habe. Ich sagte, dass ich das nicht wisse, denn ich wisse nicht, ob ich bei ihnen habe dazu beitragen können, dass sie ihr unsterbliches Seelenbewusstsein entdecken konnten. „Als Schüler betrachte ich nur jene, die ihr ewiges Seelenbewusstsein erweckt/entdeckt haben.“
Das Gespräch versandete an dieser Stelle*, aber im Traum fiel mir ein (ebenfalls „reales“) Gespräch mit dem Chef des Katasteramtes, an dem ich ein Praktikum absolvierte, ein. Er saß in seinem völlig verrauchten Büro und klagte: „Mein Sohn ist ein Gammler!“ Mich hatte diese Aussage neugierig gemacht. Ich fragte, WAS sein Sohn, der ungefähr dasselbe alter Alter haben musste, wie ich, denn so mache. Der Vater wusste es nicht; er wusste nur (zu sagen), dass er ein Gammler war. WAS für ein Vater! – Na ja, meine Eltern hatten auch nie erfahren, was ich wirklich machte.
Ich irrte also durch die Gänge, immer noch auf der Suche nach der Werkstatt und dem Werkstattleiter. Wieso konnte ich ihn nicht finden? Wieso war da niemand, der ihn mir hätte zeigen können? Ist der Werkstattleiter nicht der Chef des Bauhofs? Kennen die Angestellten nicht einmal ihren Chef? WER ist hier der Chef?, war die große Frage. Warum wurde ich von der Wache ohne Kontrolle hereingelassen? Kannte die Wache mich? Mit einemmal fiel es mir ein! Ich war der Chef des Bauhofs! Ich war der Träumer.
Ich war kurz aufgewacht, hatte den Traum rekapituliert und war dann wieder halbwegs eingenickt, da fiel mir das 4. Buch Mose ein, dessen erste Kapitel ich beim Frühstück lesen würde: 40 Jahre irrten die Juden durch die Wüste, und es ist den Bibelexperten bis heute nicht gelungen, ihren Weg von 38 dieser 40 Jahre zu rekonstruieren. Was haben die Juden in all diesen Jahren gemacht? Angeblich war in all diesen Jahren nie einer krank, und ihre Kleider und Schuhe nutzten sich nicht ab, und Gott ernährte sie mit Manna und Wasser, das Mose aus den Felsen schlug. Gott lenkte ihre Wege mit einer Feuer- und Wolkensäule, und die Viehherden hatten ebenfalls immer ausreichend Weide in der Wüste.
Was hatte Gottes Volk all diese Jahre gemacht? Dieselbe Frage wie die drei Männer im Bauhof bezüglich ihres Kollegen! – Die Geschichte des jüdischen Volkes begann eigentlich erst mit seinen Sünden, und je mehr es sündigte, desto mehr entwickelte sich seine „Geschichte“. Seine Zeit als Gottes reines Volk war jedoch geschichtslos.
Warum wussten die 3 Männer nichts von ihrem Kollegen? Warum wusste der Chef des Katasteramtes nichts von seinem Sohn? – Warum wusste ich nichts von meiner Rolle im Bauhof? Warum kenne ich nicht die Zahl meiner Schüler? Weil wir geschichtslos sind in der Ewigkeit des Seelenbewusstseins!
* Erlebnisse des uninformierten Nebeneinanderherlebens. – Die Gespräche beim „Nachtschoppen“ und mit dem Chef das Katasteramtes sind aus meiner wachen Erinnerung geschildert. Im Traum waren diese Erinnerungen bloß für Sekundenbruchteile gegenwärtig, aber nicht „nachgeträumt“.