Hans-Joachim Heyer

Evolutionstheorie – E-Brief-Diskussion mit einem Experten 5

von Hans-Joachim Heyer – Teil 5


8.8.2000, 15.16 Uhr: 08081516 Hallo, Joachim,

Jo> Mein Aufsatz ist soooo kurz, daß du ihn in 5 min lesen kannst.

Pe: Habe ich jetzt gemacht. Zentral scheint mir der folgende Satz:
„Theorien werden stets durch gedankliche Spekulationen gewonnen. In dieser Hinsicht unterscheiden sich die Naturwissenschaften nicht von der Metaphysik (1/110).“

Ich denke jedoch, hier muß man aufpassen. Ich habe den Eindruck, daß hier zwei Sachen leicht miteinander verwechselt werden können:

1. das Kommen auf einen Einfall für eine Theorie
2. das „Validieren“ einer Theorie (was immer das ist).

Jo: Deshalb schrieb ich: „in dieser Hinsicht“. Die neue Theorie ist zuerst unwissenschaftlich. Dann kommt sie durch den methodischen „Falsifikationsfilter“ und unten raus kommt Wissenschaft, und wenn dies mit „der neuen Theorie“ übereinstimmt, nennt man diese gern eine wissenschaftliche Theorie – was sie jedoch nach wie vor nicht ist. Wissenschaft sind nur die Daten, die man aus ihr nach bestandener Falsifikationsprüfung erhalten hat. HEUTE möchte ich mein Theorieverständnis um die Aussage erweitert wissen, daß ausschließlich das Methodenparadigma wissenschaftliche Theorie ist. Alles andere folgt daraus, besonders die Evolutionstheorie.

Pe: Ich glaube auch, daß die Art, wie man auf eine naturwissenschaftliche Idee kommt, nicht unbedingt kausal/rational erklären kann. Was aber die naturwissenschaftliche Methode doch von vielen metaphysischen oder religiösen Vorstellungen unterscheidet, ist folgendes: Eine Theorie welcher Art auch immer wird von vielen Forschern untersucht und auch in Frage gestellt, egal, von wem sie auch kommt. Denn es gibt das Experiment als äußere Referenz: Wenn eine Theorie sagt, daß ich 5 Volt messe, und es kommen 220 V raus, dann ist es eben nicht einfach so, daß die Scientific Community einfach nur, weil der Urheber der Theorie z.B. Nobelpreisträger ist, sagt, die Skala sei falsch. Hier hinkt das Beispiel mit dem Schwan etwas. Es mag auf manche Effekte zutreffen, aber auf vieles trifft es nicht zu, vor allem da nicht, wo Begriffe schon ein festes Gefüge haben und nicht einfach A B und B A definiert.

Es ist eben nicht so, daß es sich die Wissenschaft besonders leicht macht: im Falle der Quantenmechanik hat sie es sich wirklich schwer gemacht und eine Theorie vom Sockel geholt, die vom „physikalischen Halbgott“ Newton ins Leben gerufen worden war und bis dahin für den Inbegriff für Physik gehalten worden war.

Jo: Zustimmung! Auch zum Thema Quantentheorie. Hier glaube ich sogar, daß mit ihr der Boden bereitet wurde zum Verlasssen des bisherigern Methodenparadigmas.

Pe: Es ist eben nicht so einfach, daß alles, was nicht in die Theorie paßt, als Meßfehler deklariert wird. Es wird von mehreren Forschergruppen nachgeprüft, an verschiedensten Orten in der Welt. Und wenn die dann der Meinung sind, sie hätten das auch so gemessen, dann wird dieser Effekt beschrieben. Und wenn sich viele Effekte häufen, die nicht zur Theorie passen, dann fängt diese an, unglaubwürdig zu werden, und Theoretiker fangen an, sich nach Alternativen umzuschauen. Natürlich ist das auch ein sozialdynamischer Prozeß, aber eben nicht /nur/ sozialdynamisch.

Jo: So meinte es auch Kuhn. Die Anomalien häufen sich, man schaut sich nach Alternativen um, erfindet eine neue Theorie, welche die ehemaligen Anomalien in ihr System einbezieht.

Pe: Viele metaphysische Vorstellungen hingegen beziehen (meiner Meinung nach) ihre Grundlage aus der Authorität von bestimmten Leuten.

Zustimmung! Die Autorität bestimmter Leute ist zuweilen mächtiger, als die Macht der wiss. Fakten. Lies dazu evtl in meinen Phil. Essays: „Berger/Luckmann: Gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit“. Dort steht was von der Macht der Weltinterpretatoren, der Welterklärer.

Pe: Häufig fehlt hier halt auch die experimentelle Nachprüfbarkeit; und so tendieren diese Theorien dann doch auch häufig zu einer gewissen Beliebigkeit.

Jo: Nicht ganz. Aber eine von jedermann leistbare empirische Überprüfbarkeit gibt es hier nicht. Das ist ein Preis für Möglichkeiten der Magie.

Pe: Voltaire hat das in seinem „Candide“ anhand eines Optimisten und eines Pessimisten ja wunderbar satirisch beschrieben.

Jo: Kenne ich leider nicht.

> … Ich erachte die Naturgesetze als Konsequenzen des wissenschaftlichen Methodenparadigmas.

Pe: Mit Sicherheit auch, aber eben nicht nur. Wenn ein anderes Methodenparadigma sagt, daß grundsätzlich bergauf fließt (und dabei irgendwie „bergauf“ genauso versteht, wie der Normalbürger das tut), dann kann ich es einfach abschreiben. Gerade Physik kann ich ja haufenweise auch im Alltag wiederfinden – nicht die Begriffe, aber die Effekte.

Jo: Hier habe ich mich etwas zu unklar ausgedrückt. Unsere Seelen haben eine methodische Theorie von sich und Welt und bilden die materielle Erscheinungswelt entsprechend ab. Jetzt können sie Wasser nicht einfach bergan fließen lassen. Dazu müßten sie ihre Welttheorien völlig ändern. Welche Seele kann das – außer im Traum, dem seelischen Experimentierfeld?

> Und dieses Modell ist wandlungsfähig. Ich habe mir ein besseres Menschenmodell (mein Mythos) gebastelt, als es die Wissenschaft zu bieten vermag. Und da ich wirklich an dieses Modell glaube, funktioniere ich auch entsprechend – und fühle mich wohl dabei. Dadurch, daß ich mich nicht mehr mit meinem körper identifiziere, sondern mit meiner Seele, habe ich eine Dimension hinzugewonnen: für mich gibt es die Kausalität vom Geist zum Körper (neben der Kausalität zwischen den Körpern). Aus diesem Grund darf ich davon ausgehen, daß mein Ich ewig währt. Ist doch toll was? Ich habe EWIG Zeit zum Lernen und wachsen. …

Pe: Ist schon toll. Aber irgendwo auch gefährlich. Denn zumindest mir geht es so, daß ich einen gewissen (wenn auch nicht zu starken) Druck brauche, um produktiv zu sein.

Jo: Den Druck wird man nicht los. Es gibt dann anderen Druck Jeder findet einen Widerstand auf seinem Niveau.

… > Meine Sehnerven nehmen alles, was eine bestimmte Energiemenge besitzt, als Photon wahr und das mit nur mit einer einzigen Geschwindigkeit. Daraus schließe ich (genauso falsch wie oben), daß es jenseits meiner Augen Licht gibt, daß dem Gesetz der Konstanz der LG gehorcht, selbst wenn ich nicht hingucke. Absurd!

Pe: Man muß natürlich hier sehr vorsichtig sein. Gerade bei den Quarks war das so, daß die Experimente irgendwie zu zeigen schienen, daß die Kernteilchen wiederum aus anderen Teilchen zu bestehen schienen. Feynman deutete die Ergebnisse und nannte diese (postulierten) Teilchen – nein: nicht etwa „Quarks“, sondern „Partonen“. Und das, obwohl, wenn ich mich recht entsinne, Gell-Mann die Quark-Theorie schon entwickelt hatte (aufgrund ganz anderer Überlegungen). Erst viel später wurden dann die Partonen mit den Quarks identifiziert.

Jo: Und wenn wir unsere Wahrnehmungsfähigkeit mittels Geräten und methodischen Formalismen (Formeln…) noch weiter verfeinern, werden noch kleinere DINGE in Erscheinung treten. D.h. sie werden dannauch empirisch verifizierbar sein. Da es diese Methoden noch nicht gibt, gibt es natürlich diese Subquarks NOCH nicht. Zu einer Erscheinung gehört immer ein wahrnehmendes Subjekt (samt seiner Sinne). Ändern wir die Sinne, ändern wir die Objekte. Verfeinern wir die Sinne, verfeinern wir die Objekte usw ad infinitum.

> Man lügt das Subjekt zum Objekt! Man lügt das Bedingte zum Unbedingten! Sprechen wirs doch mal deutlich aus! Man will eine Wissenschaft ohne Wissenschaftler. Welcher Schwindler ist dieser „Man“?

Hier ist, glaube ich, Vorsicht geboten: Man will „Theorien“ ohne Wissenschaftler, d.h. die Wissenschaftler sollen nicht in den Theorien vorkommen. Im Prinzip ist das wie bei Filmen oder Romanen: Nicht in jedem Buch kommen Schriftsteller vor und nicht in jedem Film Regisseure. Das heißt aber nicht, daß man eine Literatur-Szene ohne Literaten oder eine Film-Industrie ohne Regisseure will. (wie jedes Beispiel hinkt natürlich auch das); und so will man, glaube ich, auch keine Wissenschaft ohne Wissenschaftler.

Jo: Schau mal in den wiss. Publikationen nach. Die Personen nehem sich methodisch bedingt aus ihren Arbeiten heraus. Man will ja sachlich bleiben. Man hat vergessen, daß es „Welt“ nicht ohne Menschen gibt.

> Man behauptet, die Erscheinungen (für uns Subjekte) seien die Dinge selbst. Dann gibt es keine Erscheinungen, nichts zu hinterfragen …

Pe: die Naturwissenschaft hinterfragt z.B. die (scheinbaren) Zusammenhänge, und deren gibt es reichlich.

> sondern nur noch die faktische Welt, die genau so ist, wie es uns die „Großvorbilder“ (also die Typen mit dem den dicken Geldbeuteln) erzählen. Folge: „Wir glauben nicht, wir wissen! Wir brauchen keine Religion mehr!“

Pe: Ich kenne z.B. einige Wissenschaftler, die ziemlich katholisch sind.
Jo: Aber erst nach Feierabend.

> Da es Geist gibt, muß dieser von den Objekten hervorgerufen werden und kann, falls er nicht irrt, nur materialistisch sein, muß also den Gesetzen der Ökonomie gehorchen, denn schließlich sind auch alle Naturgesetze letztendlich ökonomisch! Folge: Die ganz dicken Geldsäcke sind unsere wahren Götter!

Hier muß man glaube ich, schwer aufpassen, daß man nicht der Begriffswelt zum Opfer fällt: Das Wort „Materialismus“ kann ja in zweierlei Hinsicht aufgefaßt werden:
1.) Jemand glaubt, daß Grundlage aller Erscheinungen eine (wie auch immer geartete) aber an sich geistlose Materie ist.
2.) Für jemanden kommt nur darauf an, was (bzw. wieviel) einer hat und wie er seinen persönlichen Profit maximiert.

Das sind ganz unterschiedliche Standpunkte und ich denke, man tut vielen Leuten von Typ (1) ganz übel unrecht, wenn man sie mit Typ (2) gleichsetzt.

Jo: So dachte auch ich lange Zeit – bis ich merkte, daß genaugenommen empirische Wissenschaft und Ökonomie einunddasselbe sind – nicht nur, was das „inflationäre Universum“ anlangt.

Jo: > So hätten es die Politiker (die Machthaber, die ihre Politiker-Kasper auf die öffentliche Bühne schicken, weil sie selber allzu häßlich sind) gern, denn auf diese Weise verdummt, kommt ihnen das Fußvolk niemals auf die Schliche (siehe meinen Essay: „Herren der Welt“)!

Pe: Habe ich überflogen. Ich möchte diese Theorie gar nicht mal abstreiten, aber sie hat ein Problem, das Curt Goetz in seinem Gerichts-Theaterstück „Hokuspokus“ gut beschrieben hat. Darin geht es um einen vermeintlich stattgefundenen Mord, bei dem eine Frau ihren Mann auf einem See ertränkt haben soll. Und der Verteidiger weist darauf den Staatsanwalt (angesichts mangelnder Zeugen) darauf hin: „Sie stellen die Theorie auf, daß es niemand gesehen hat, weil es niemand sehen sollte“. Und dieses Problem haben fast alle Verschwörungstheorien – richtig oder falsch.

Jo: Du meinst, ich wolle die Existenz der GEHEIMEN Weltverschwörer damit beweisen, daß man sie nicht entdecken kann – eben WEIL sie geheim sind? Ich will ihr Wirken jedoch damit aufzeigen, wo ihre Geheimnistuerei nicht funktioniert hat. Mit Beweisen tu ich mich allerdings in der Tat schwer.

Pe: Ich könnte auch sagen: „Die Welt wird von den Hypnotiseuren beherrscht.

Jo: Zustimmung. 😉

Die Sache mit Selbstimmunisierung von Theorien ist ein Problem. Genaugenommen schließe ich hier nur von mir auf Andere: Also ich aufwachte, bemerkte ich, daß die meisten anderen Menschen schliefen. Ich begann jedoch auch zu ahnen, daß es Menschen geben müsse, die noch wacher sind als ich. Ich suchte nach Zeichen und fand sie. Ich finde aber nichts, das den Schläfern als Beweis dienen könnte. Man kann Schläfern nicht die Wachheit beweisen. Ich fand eine geistige Hierarchie. Da die Schläfer davon nichts wissen, nenne ich die Herren da oben Weltverschwörer. Das ist für mich kein negativer Begriff. Ich möchte hier wiederholt auf den Buchauszug: Berger/Luckmann: Gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit“ und meiner Fortführung „Konstruktion der Wirklichkeit“ verweisen.

bis bald joachim


08091427 Hallo, Joachim,

>> … Quantenmechanik Inbegriff für Physik gehalten worden war.
>
> Zustimmung! Auch zum Thema Quantentheorie. hier glaube ich sogar, daß mit ihr der Boden bereitet wurde zum Verlasssen des bisherigern Methodenparadigmas.

Man könnte natürlich auch so argumentiern, daß die quantenmechanische Revolution eben gerade gezeigt hat, daß das bisherige Methodenparadigma prinzipiell in der Lage war, sich aus erstarrten Modellvorstellungen (Teilchen auf fest definierten Bahnen, beliebig genaues, gleichzeitiges Messen beliebiger physikalischer Größen wie Ort und Impuls usw.) zu lösen.

> Zustimmung! Die Autorität bestimmter Leute ist zuweilen mächtiger, als die Macht der wiss. Fakten. Lies dazu evtl in meinen Phil. Essays: „Berger/Luckmann: Gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit“. Dort steht was von der Macht der Weltinterpretatoren, der Welterklärer.

Werde ich bei Gelegenheit tun!

>> Häufig fehlt hier halt auch die experimentelle Nachprüfbarkeit; und so tendieren diese Theorien dann doch auch häufig zu einer gewissen Beliebigkeit.

> Nicht ganz. Aber eine von jedermann leistbare empirische Überprüfbarkeit gibt es hier nicht. Das ist ein Preis für Möglichkeiten der Magie.

Für einen empirischen Wissenschaftler ist das natürlich ein ausgesprochen hoher Preis.

>> … Voltaire … „Candide“ …
>
> Jo: Kenne ich leider nicht.

Liest sich echt toll. Man denkt bei Voltaire immer an so einen „verstaubten“ alten Philosophen (ich dachte das früher jedenfalls). Sein Candide ist jedenfalls echt witzig zu lesen. Über die deutsche Übersetzung kann ich allerdings nichts sagen, denn ich habe das in der Schule im Original gelesen.

> Jo: Und wenn wir unsere Wahrnehmungsfähigkeit mittels Geräten und methodischen Formalismen (Formeln…) noch weiter verfeinern, werden noch kleinere DINGE in Erscheinung treten. D.h. sie werden dannauch empirisch verifizierbar sein. Da es diese Methoden noch nicht gibt, gibt es natürlich diese Subquarks NOCH nicht. Zu einer Erscheinung gehört immer ein wahrnehmendes Subjekt (samt seiner Sinne). Ändern wir die Sinne, ändern wir die Objekte. Verfeinern wir die Sinne, verfeinern wir die Objekte usw ad infinitum.

Das ist eine Frage, die sich auch Physiker zuweilen stellen, gerade im Gebiet der Hochenergie-Physik. Da werden ja Teilchen mit sehr hohen Energien aufeinandergeschossen und man schaut sich sozusagen die Trümmer an, von denen allerdings viele sehr schnell wieder zerfallen. Da kommt man dann schon auf die Frage, was von den Trümmern wirklich vorher schon da war und was durch die Wandlung von Energie in Materie gerade mal eben entstanden ist; was hat man also „gesehen“ und was hat man erzeugt. Das ist wahrscheinlich gar nicht mehr so ohne weiteres zu trennen; es kommt bei der Teilchenphysik auch mehr darauf an, Hypothesen zu überprüfen und weniger, ob die gemessenen Teilchen wirklich als „Bestandteile“ aufgefaßt werden können. (allerdings bin ich kein Teilchenphysiker; ich spreche hier also auch schon fast eher als Laie denn als Fachmann)

> Schau mal in den wiss. Publikationen nach. Die Personen nehem sich methodisch bedingt aus ihren Arbeiten heraus. Man will ja sachlich bleiben…

Das stimmt. Das ist, glaube ich, eine Stilfrage, die aber auch mit der Methodik eng verbunden ist. Eine Publikation hat, neben einigen irrationalen, für mich folgenden rationalen Zweck: Bei experimentellen Arbeiten ist es der Zweck, daß anderswo auf der Welt jemand das beschriebene Experiment nachvollziehen und seine eigenen Ergebnisse mit den beschriebenen vergleichen kann. Bei theoretischen Arbeiten geht es um „Rechenmethoden“ und Überlegungen; ebenfalls mit dem Zweck, daß wer anderes das nachvollzieht und überprüft.

Ich verstehe also eine wissenschaftliche Publikation als eine Art „Gebrauchsanweisung“ zum Nachvollziehen von Experimenten, Überlegungen und Rechnungen. Und wie bei der Gebrauchsanweisung vom Video-Rekorder nicht drinsteht: „Ich, der Elektrotechniker Soundso habe jetzt die Aufgabe gelöst einen Videorekorder zu basteln. Und da habe ich mich gefragt: was wollen denn die Leute von einem Videorekorder …. „

>>> … letztendlich ökonomisch! Folge: Die ganz dicken Geldsäcke sind unsere wahren Götter!
>
>> Hier muß man glaube ich, schwer aufpassen, daß man nicht der Begriffswelt zum Opfer fällt: Das Wort „Materialismus“ kann ja in zweierlei Hinsicht aufgefaßt werden: 1.) Jemand glaubt, daß Grundlage aller Erscheinungen eine (wie auch immer geartete) aber an sich geistlose Materie ist. 2.) Für jemanden kommt nur darauf an, was (bzw. wieviel) einer hat und wie er seinen persönlichen Profit maximiert.

>> Das sind ganz unterschiedliche Standpunkte und ich denke, man tut vielen Leuten von Typ (1) ganz übel unrecht, wenn man sie mit Typ (2) gleichsetzt.
>
> Jo: So dachte auch ich lange Zeit – bis ich merkte, daß genaugenommen empirische Wissenschaft und Ökonomie einunddasselbe sind – nicht nur, was das „inflationäre Universum“ anlangt.

Aber ist es nicht docch arg gefährlich, ich sage mal etwas ungenau, „konsequenten Atheismus“ mit „rücksichtlosem Egoismus“ gleichzusetzen (darauf bezog sich meine Warnung in meiner letzten Mail). Kann ich mir nicht einen Menschen vorstellen, der der Meinung ist, alles, Geist, Gefühle, Ethik etc. beruhen letztlich auf Materie, der aber auf die Gefühle seiner Mitmenschen trotzdem Rücksicht nimmt und sich ethisch verhält.

Ich würde auch nicht unbedingt sagen, daß Wissenschaft und Ökonomie „dasselbe“ sind. Mit Sicherheit haben die beiden Bereiche Gemeinsamkeiten (ein Wissenschaftler muß halbwegs ökonomisch mit seinen Ressourcen umgehen, Geldmittel und vor allem Zeit, etc., umgekehrt ist ein Ökonom, der sich nicht an seine empirischen Ergebnisse hält mit großer Wahrscheinlichkeit bald ein bankrotter Ökonom.) Aber es bestehen doch wesentliche Unterschiede: Viele Theorien hatten zur Zeitpunkt ihrer Entstehung und auch längere Zeit danach keine ökonomisch umsetzbare Bedeutung. Das ist auch einer der Gründe, warum wir naturwissenschaftliche Forschung Universitäten brauchen; sonst könnten wir diese ja ganz in die Industrie verlagern.

Kleine Anekdote: als ein Regierungsbeamter ich glaube Faraday fragte, wofür seine Entdeckungen denn jetzt gut sein, antwortete er: „Das weiß ich nicht, aber ich weiß, daß Sie Steuern darauf nehmen werden.“ Auf eine ähnliche Frage antwortete ein mir im Moment entfallener Wissenschaftler mit der Gegenfrage: „Wozu nutzt ein neugeborenes Kind?“

> Die Sache mit Selbstimmunisierung von Theorien ist ein Problem. Genaugenommen schließe ich hier nur von mir auf Andere: Also ich aufwachte, bemerkte ich, daß die meisten anderen Menschen schliefen. Ich begann jedoch auch zu ahnen, daß es Menschen geben müsse, die noch wacher sind als ich. Ich suchte nach Zeichen und fand sie. Ich finde aber nichts, das den Schläfern als Beweis dienen könnte. Ich fand eine geistige Hierarchie. Da die Schläfer davon nichts wissen, nenne ich die Herren da oben Weltverschwörer. Das ist für mich kein negativer Begriff. Ich möchte hier wiederholt auf den Buchauszug: Berger/Luckmann: Gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit“ und meiner Fortführung „Konstruktion der Wirklichkeit“ verweisen.

Das mit dem „graduellen Aufwachen“ erinnert mich an eine Geschichte von S. Lem. Er beschreibt darin, wie die Menschen von Drogen die Welt vorgegaukelt bekommen wie sie angeblich ist. Der Forscher erfindet ein Gegengift und sieht eine ganz andere Welt (deutlich scheußlicher); er ist über die Wahrheit ganz entsetzt, bis er merkt, daß auch das nicht die Wirklichkeit ist, sondern auch durch Drogen induziert. Er findet wieder das Gegengift und die neue Welt ist noch scheußlicher usw. Die Sache steht in dem Sammelband „Entdeckung der Virtualität“; ist ein echt cooles Buch.

Die Entdeckung der Virtualität.
Stanislaw Lem
Preis: DM 12,80
Taschenbuch – 238 Seiten (1996) Suhrkamp, Ffm.;
ISBN: 3518388983

So -ich habe jetzt noch einen Termin, den ich vor lauter Schreiben fast vergessen hätte.

Herzliche Grüße – P


08161103 > Hallo, Joachim,
>
pe: > >> … Quantenmechanik Inbegriff für Physik gehalten worden war.
> >
jo: > > Zustimmung! Auch zum Thema Quantentheorie. Hier glaube ich sogar, daß mit ihr der Boden bereitet wurde zum Verlasssen des bisherigern Methodenparadigmas.
>
pe: > Man könnte natürlich auch so argumentiern, daß die quantenmechanische Revolution eben gerade gezeigt hat, daß das bisherige Methodenparadigma prinzipiell in der Lage war, sich aus erstarrten Modellvorstellungen (Teilchen auf fest definierten Bahnen, beliebig genaues, gleichzeitiges Messen beliebiger physikalischer Größen wie Ort und Impuls usw.) zu lösen.

jo: Inzwischen hat man es jedoch wieder geschafft, das Subjekt aus der Theorie rauszuschmeißen, um die QM wieder dem Methodenparadigma zu unterwerfen. Ich denke, die Methode hat gegen das revolutionär Neue der QM gesiegt.
>
jo: > > – bis ich merkte, daß genaugenommen empirische Wissenschaft und Ökonomie einunddasselbe sind – nicht nur, was das „inflationäre Universum“ anlangt.
>
pe: > Aber ist es nicht doch arg gefährlich, ich sage mal etwas ungenau, „konsequenten Atheismus“ mit „rücksichtlosem Egoismus“ gleichzusetzen (darauf bezog sich meine Warnung in meiner letzten Mail). Kann ich mir nicht einen Menschen vorstellen, der der Meinung ist, alles, Geist, Gefühle, Ethik etc. beruhen letztlich auf Materie, der aber auf die Gefühle seiner Mitmenschen trotzdem Rücksicht nimmt und sich ethisch verhält.
>
> Ich würde auch nicht unbedingt sagen, daß Wissenschaft und Ökonomie „dasselbe“ sind. Mit Sicherheit haben die beiden Bereiche Gemeinsamkeiten

jo: Was ich meine, ist, daß Wissenschaft UND Ökonomie auf demselben Methodenparadigma beruhen.
>
pe: Sammelband „Entdeckung der Virtualität“; ist ein echt cooles Buch.
>
> Die Entdeckung der Virtualität.
> Stanislaw Lem
> Preis: DM 12,80
> Taschenbuch – 238 Seiten (1996) Suhrkamp, Ffm.;
> ISBN: 3518388983

jo: kommt auf meine Wunschliste…
>
jo: … Eine Anmerkung noch zur Evolutionstheorie, die mir vorhin beim Schreiben eines Beitrages in der NG de.sci.biologie zur Evolutionstheorie eingefallen ist. Ich behaupte, die Evolutionstheorie erklärt rein gar nichts, weil sie für mutagene Neuerungen den Zufall postuliert, und ein Zufall erklärt nichts! Genaugenommen sagen die Biologen, wenn sie etwas mit der Ev.-Theorie „erklären“, daß die Sache ZUFÄLLIG entstanden sei. für mich ist diese antwort dasselbe wie „Keine Ahnung!“. Was sagst du dazu?

bis bald Joachim


08161420: Hallo, Joachim,

> Was ich meine, ist, daß Wissenschaft UND Ökonomie auf demselben Methodenparadigma beruhen.

Wie würdest Du dieses Methodenparadigma in wenigen Sätzen beschreiben?

> Eine Anmerkung noch zur Evolutionstheorie, die mir vorhin beim Schreiben eines Beitrages in der NG de.sci.biologie zur Evolutionstheorie eingefallen ist. Ich behaupte, die Evolutionstheorie erklärt rein gar nichts, weil sie für mutagene Neuerungen den Zufall postuliert, und ein Zufall erklärt nichts! Genaugenommen sagen die Biologen, wenn sie etwas mit der Ev.-Theorie „erklären“, daß die Sache ZUFÄLLIG entstanden sei. für mich ist diese antwort dasselbe wie „Keine Ahnung!“. Was sagst du dazu?

Das mit dem Zufall in der Evolution ist so eine Sache; man darf den Zufall nie alleine betrachten, sondern immer im Kombination mit der Selektion. Total vereinfacht dargestellt: Wenn die z.B. Geweihgröße eines Hirsches von den Genen abhängt, so ändert die Mutation die Geweihgröße eines Hirsch-Kindes von der seiner Eltern.

Wenn der Biologe sagt: Mutationen sind zufällig, dann meint er: die Mutation hat keine Ahnung, was für den kleinen Hirsch gut ist, es gibt keine Vorzugsrichtung. Erst die Selektion entscheidet über den „Wert“ dieser Mutation (genaugenommen über den Wert der Gesamtheit aller Mutationen). Wenn der Hirsch nur noch ein sehr mickriges Geweih hat, finden ihn vielleicht die Hirsch-Kühe nicht attraktiv und er bekommt keine Nachkommen. Wenn er ein übergroß-riesiges Geweih hat, stört ihn das vielleicht bei der Futtersuche oder bei der Flucht vor Feinden und er bekommt weniger oder gar keine Nachkommen. Wenn das Geweih so groß ist, daß die Hirschkühe ihn attraktiv finden, aber er trotzdem mit dem Geweih gut leben kann, dann hat er Chancen, einige Nachkommen zu kriegen und Information über seine Geweihgröße an seine Nachkommen weiterzugeben.

Und da so bevorzugt Hirsche auf die Welt kommen, deren Väter eine „vernünftige“ Geweihgröße haben, und die Geweihgröße in gewissen Grenzen auch vererbt wird, gibt es eben fast nur Hirsche mit vernünftiger Geweihgröße.

Kurz: Man betrachte Mutation und Selektion immer im Doppelpack; nur so bekommt man zum einen Elemente des „Neuen“ und zum anderen Elemente der „Anpassung an die Umwelt“ in die gleiche Theorie.

Herzliche Grüße – P


08171202:

> Hallo, Joachim,
>
> > Was ich meine, ist, daß Wissenschaft UND Ökonomie auf demselben Methodenparadigma beruhen.
>
> Wie würdest Du dieses Methodenparadigma in wenigen Sätzen beschreiben?

Der ökonomische Markt (Wirtschaft, Börse etc.) wird genauso betrachtet, wie man Leben (ökologische Systeme) interpretiert, wobei zB die Institutionen (Ämter, Firmen, Konzerne) den Stellenwert von Lebewesen und Biotopen einnehmen. Beispielsweise zieht sich heute der Staat aus der Wirtschaft zurück, weil man auf die Kraft der Selbstorganisation (Freihandel) vertraut. Beachte die Ähnlichkeit der Begriffe „Organismen“ und „Organisationen“. Weitere Übereinstimmung: Alles wird auf mechanische Funktionen zurückgeführt; auf Gesetze. die Gesetze des „Marktes“ sind dieselben wie die der „Natur“ (als Physik).
>
> Das mit dem Zufall in der Evolution ist so eine Sache; man darf den Zufall nie alleine betrachten, sondern immer im Kombination mit der Selektion …
>
> … Kurz: Man betrachte Mutation und Selektion immer im Doppelpack; nur so bekommt man zum einen Elemente des „Neuen“ und zum anderen Elemente der „Anpassung an die Umwelt“ in die gleiche Theorie.
>
Ich bestreite nichts von dem, was du geschrieben hast. Diese Sachen sind mir natürlich auch bekannt. Was ich meine, ist etwas Anderes: Aufgrund des Zufalls bei der Mutation sind die Folgen evolutiver Prozesse nicht determiniert. Kein Biologe kann sagen, wie sich etwas, zB ein Hirschgeweih, entwickeln WIRD. Das bestreitet sicher auch kein Biologe. ABER: Rückwärts soll die Sache mit einemmal funktionieren: Der Biologe will etwas mit seiner Theorie ERKLÄREN. Das ist unlogisch. Er kann nachgucken, was ist und dann sagen: So MUSSTE es kommen. Aber mit einer solchen Behauptung lügt er sich in die Tasche. Ich behaupte also, die Evolutionstheorie erklärt nichts. Nur Biologen und andere Menschen erklären, aber nicht diese Theorie.

Joachim


08181102 Hallo, Joachim,

>> > Was ich meine, ist, daß Wissenschaft UND Ökonomie auf demselben Methodenparadigma beruhen.
>>
>> Wie würdest Du dieses Methodenparadigma in wenigen Sätzen beschreiben?

>Der ökonomische Markt (Wirtschaft, Börse etc.) wird genauso betrachtet, wie man Leben (ökologische Systeme) interpretiert, wobei zB die Institutionen (Ämter, Firmen, Konzerne) den Stellenwert von Lebewesen und Biotopen einnehmen. Beispielsweise zieht sich heute der Staat aus der Witschaft zurück, weil man auf die Kraft der Selbstorganisation (Freihandel) vertraut.

Richtig. Allerdings glaube ich, daß sich hier die Wirtschaftsleute die ihnen passenden Rosinen herausgepickt haben. Die Evolutionsbiologen sagen ja: Die biologische Vielfalt, die sich herausgebildet hat, hat sich durch Mechanismen der Mutation, Rekombination und Selektion herausgebildet – so wie sie heute ist. Was (hoffentlich) kein ernstzunehmender Evolutionsbiologe sagt, ist, daß das Ergebnis das bestmögliche ist. Zum Beispiel ist ja nun der Herr Dawkins zum Sinnbild des Erz-Neo-Dawinisten geworden. Derselbe Herr Dawkins schreibt aber auch in seinem Buch „Und es entsprang ein Fluß in Eden“ auch, daß die Natur mit ihren Geschöpfen zum Teil außerordentlich grausam verfährt und bringt ein Beispiel.

Es wäre von der Chemie her „für die Natur“ kein Problem gewesen, einer Antilope einen Betäubungsmechanismus für den Fall einzubauen, daß sie von einem Löwen gefressen wird. Ein solcher Mechanismus existiert aber nicht; ein Evolutionsbiologe würde sagen: Wenn die Antilope gefressen wird, bringt sie keinen weiteren Nachwuchs mehr zur Welt, gleichgültig, ob sie betäubt ist, oder nicht. Also gibt es keinen Selektionsvorteil für Antilopen mit Betäubung und damit auch keine Selektionskräfte in dieser Richtung.

Was viele Leute, die eine besonders freie und unkontrollierte Wirtschaft fordern, durcheinanderbringen, sind die Aussagen : „Es ist so.“ und „Es ist gut so.“. Es ist so, daß die Antilope keinen Betäubungsmechanismus hat, aber ob das gut so ist, sei dahingestellt. In einigen Papern, die ich gerade gelesen habe, weisen Wissenschaftler eindeutig darauf hin, daß die Evolution nicht (immer) als Optimierungsprozeß gesehen werden kann.

Ein schönes Beispiel, das man den Vertretern „Wenn jeder nur an sich denkt, ist an jeden gedacht“ entgegenhalten kann, ist das sogenannte „Prisoners Dilemma“, das die Mathematiker gebastelt haben; ich gebe eine einfache Version an:

Wir haben irgendein Problem (Spiel), bei dem zwei Leute (A und B) zusammenarbeiten oder die Zusammenarbeit verweigern können. Für jede Kombination gibt es für die beiden „Spieler“ Punkte; wir nehmen an, daß das Spiel keinen Unterschied zwischen den Spielern macht.

Die Spielpunkte sind in der folgenden Tabelle dargestellt: (Gewinn von A [Gewinn von B])

Was B macht zusammenarbeiten verweigern Was
zusammenarbeiten 3 [3] 0 [4]
A verweigern 4 [0] 1 [1] macht

Was soll ich denn den Spielern empfehlen, wie sie spielen sollen? Ich kann mich auf den folgenden Standpunkt stellen (Argumentation 1):
„Egal, was B auch macht, es ist für A immer besser zu verweigern. Also gebe ich die Empfehlung an A (und analog auch an B, denn das Spiel macht ja keine Unterschiede) : immer verweigern.“

Aber jetzt kannst Du doch (zu Recht) sagen (Argumentation 2): Das ist doch Schwachsinn! Ich sehe doch, daß wenn beide immer zusammenarbeiten, sie immer mehr rauskriegen, als wenn sie beide verweigern.

Jetzt zur Evolution:
Nehmen wir nun an, wir hätten künstliche „Lebewesen“, die miteinander dieses Spiel spielen. Genetisch könnten entweder nur immer verweigern oder immer nur zusammenarbeiten. Ihre Vermehrungsrate hängt von der Punktzahl ab. Wie wird denn die Population nach einiger Zeit aussehen? Nehmen wir an, wir haben am Anfang die bestmögliche aller Welten; alle Lebewesen arbeiten immer zusammen. Friede, Freude, Eierkuchen. Jetzt gibt es eine kleine Mutation und wir haben plötzlich einen Verweigerer. Im Gegensatz zu den kooperativen Kollegen wird er nun immer 4 Punkte haben, wenn er mit einem kooperativen Gegenspieler spielt, der allerdings wird dann nur noch einen Punkt haben. Folge: Die Verweigerer vermehren sich wie die Karnickel, die Kooperativen gehen zurück. Das geht so lange, bis die Kooperativen ausgestorben sind.
Dieses Evolutionsmodell folgt also Argumentation 1, die wir als vernünftige Wesen als Schwachsinn bezeichnen würden !!!

(Der Mathematiker Maynard-Smith nennt in diesem Fall „Verweigern“ evolutionär stabil, „Kooperieren“ als evolutionär nicht stabil).

Ich persönlich sehe das als ein durch und durch naturwissenschaftliches Argument dafür an, daß man von den „Gesetzen des Marktes“ nicht erwarten kann, daß sie allein zum größtmöglichen Wohl für alle führen und daß die Evolution vielleicht doch nicht so uneingeschränkt als Modell für unser menschliches Zusammenleben herhalten sollte.

Nehmen wir das Beispiel Umwelt und setzen im obigen Spiel „Kooperation = billig Produzieren, Umwelt zerstören“ und „Verweigern = etwas teurer aber umwelterhaltend produzieren“ und vertrauen auf die „Gesetze des Marktes“ mit einer rein preisabhängigen Nachfrage.

Jede umwelterhaltende Produktion ist dann unweigerlich dazu verdammt, von den billig-Dreckschleudern verdrängt zu werden, mit dem Erfolg, daß (wir) alle nur noch sehr wenige Punkte machen; sprich: unsere Lebensqualität wegen der Gasmaske vor dem Gesicht doch erheblich abnimmt.

Es ist an den Konsumenten und an den Staaten, die Punktetabelle so zu gestalten, daß die lokale Argumentation 1 zum gleichen Ergebnis führt wie die globale Argumentation 2. Ich denke, das haben sich die Pioniere der Bundesrepublik gedacht, als sie die soziale Marktwirtschaft erfunden haben

Du siehst: naturwissenschaftlich-mathematisches Denken ist nicht unbedingt dem Denken in bestimmten naiv-liberalen Strömungen gleichzusetzen und die Evolutionstheorie kann uns durchaus auch Hinweise darauf geben, was man gesellschaftlich besser bleiben lassen sollte :-)!

>Ich bestreite nichts von dem, was du geschrieben hast. Diese Sachen sind mir natürlich auch bekannt. Was ich meine, ist etwas Anderes: Aufgrund des Zufalls bei der Mutation sind die Folgen evolutiver Prozesse nicht determiniert. Kein Biologe kann sagen, wie sich etwas, zB ein Hirschgeweih, entwickeln WIRD. Das bestreitet sicher auch kein Biologe. ABER: Rückwärts soll die Sache mit einemmal funktionieren: …

Jetzt habe ich Deine Argumentation verstanden! Das ist in der Tat ein zentrales Problem. Mathematisch gesprochen ist das Problem, daß es sich bei der Evolution um /einen einzigen/ (stochastischen) Prozeß handelt, der in einer gewissen Weise abgelaufen ist. Darüber, wie bei gleichen Anfangsbedingungen, aber anderen „Zufalls-„ereignissen die belebte Welt aussehen würde, können wir fast nur spekulieren. Also die Frage: was ist der gesetzmäßige Anteil und was ist der zufällige Anteil? Wir haben halt nicht 1000 verschiedene Welten zu Meßzwecken zur Verfügung, um das herauszufinden.

Diese Art von konstruktiver Kritik ist es, die ich mir für unsere Diskussion auf der Mailing-Liste des MT- Kreises wünsche! Es wäre sehr schön, wenn Du diese Frage dort dann mal in den Raum stellen würdest (du hast ja sozusagen das „Urheberrecht“ an dieser Frage!)

Herzliche Grüße – P


08181325

> > Ich behaupte, die Evolutionstheorie erklärt rein gar nichts, weil sie für mutagene Neuerungen den Zufall postuliert, und ein Zufall erklärt nichts! Genaugenommen sagen die Biologen, wenn sie etwas mit der Ev.-Theorie „erklären“, daß die Sache ZUFÄLLIG entstanden sei. Für mich ist diese Antwort dasselbe wie „Keine Ahnung!“.

In einer NG-Diskussion ging’s so weiter:

> Hi Hans-Joachim,
>
> > > ich fürchte, Du hast nicht verstanden, wie Evolution ‚funktioniert‘. Sie ist ein _Wechselspiel_ von Zufall _und_ Notwendigkeit, Mutation _und_ Selektion. Außerdem scheinst Du mir einen Anspruch an ‚Erklärung‘ zu stellen, den die Naturwissenschaft nicht einlösen kann.
>
> > Und du hast nicht verstanden, was ich meine. Was ich meine, ist etwas Anderes: Ich behaupte, aufgrund des Zufalls bei der Mutation sind die Folgen evolutiver Prozesse nicht determiniert.
>
> offene Scheunentore. Steht in jedem Lehrbuch.
>
> > Kein Biologe kann sagen, wie sich etwas, zB ein Hirschgeweih, entwickeln WIRD.
>
> Deshalb wird Evolutionsbiologie auch mit Geschichtswissenschaft verglichen. Die konnten auch 1985 nicht sagen, wie sie die BRD entwickeln _wird_, aber in der Retrospektive kann man versuchen, herauszufinden, warum die DDR heute nicht mehr existiert.

Das heißt also: Der Zufall verhindert, in die Zukunft gerichtet, Erklärungen eines zukünftigen Seins. Aber andersherum, also zur Vergangenheit hin gerichtet, sind alle zufälligen Entwicklungen konkretisiert, und damit ist der Zufall ausgelöscht und Erklärungen möglich! Die Vergangenheit ist determiniert, sprich: berechenbar, erforschbar, geworden. Man kann die Ursache des Untergangs der DDR ergründen.
Beispiel: Ich stehe unter einem baufälligen Dach. Da die Zukunft sich unter Mitwirkung von Zufällen entwickelt, kann ich nicht wissen, welcher Dachziegel mir eines Tages auf den Kopf fallen wird, wenn ich dort stehenbleibe. Aber wenn er mir dann eines Tages auf den Kopf gefallen ist und ich habe die Sache überlebt, kann ich sehrwohl konkret sagen, welcher Ziegel es war. Ergo ist der Zufall rückwirkend eliminiert – und Vergangenheit ist berechenbar.
Es gab einmal einen Indianerstamm, deren Mitglieder behaupteten, die Vergangenheit läge vorn, da sie sie sehen könnten; die Zukunft läge hinten, denn dort könnten sie nicht sehen. Darf ich das so interpretieren: Alles ist ungewiß, scheint jedoch gewiß!? Falls ja: Inwiefern stimmt die Wirklichkeit mit unseren ach so gewissen Erinnerungen (Berechnungen der Ursachen) überein? Müßte der Zufall nicht auch in die Vergangenheit reichen, sodaß ich sagen muß: Ich hätte auch andere Ursachen als meine Eltern, zB andere Eltern, haben können!?

Ich vermute, daß die deterministische Vergangenheit ist keine wirklich gewesenene Vergangeheit ist, sondern eine kognitive Vergangenheit, da die Gewißheit nicht der konkreten Vergangenheit entspringt, die dann berechnet würde, sondern eine bloße Erscheinung für uns ist. Wir sind wie die o.g. Indianer: Für die Vergangenheit haben wir einen Sinn; wir können sie in Erscheinung bringen. Die Gewißheit entspringt der Starrheit unserer Wahrnehmungsmethode. Für die Zukunft haben wir keinen Sinn. Darum sehen wir sie nicht.
Anders gesagt: Ich bin eine dreidimensionale Kugel, die sich selbst erkennen will. Sich selbst erkennen heißt: abbilden. Abbilden heißt: Eine lineare (eindimensionale) Abwicklung des Dreidimensionalen anfertigen. Folge: Ich sehe mich als entwickeltes Wollknäul. Der Faden ist die Rückwärtskausalkette. Nun bin ich jedoch nicht mehr der gesamte Faden, sondern nur noch dessen Ende. Ich nenne es „meinen“ Körper.
Konsequenz: Ich bin, der ich bin: ewig. Mein Gewordensein (Vergangenheit) sind bloße Theorien und deren Anschauungen.

Wie funktioniert die Sache mit dem Zufall deiner Meinung nach?

>Es wäre von der Chemie her „für die Natur“ kein Problem gewesen, einer Antilope einen Betäubungsmechanismus für den Fall einzubauen, daß sie von einem Löwen gefressen wird. Ein solcher Mechanismus existiert aber nicht; ein Evolutionsbiologe würde sagen: Wenn die Antilope gefressen wird, bringt sie keinen weiteren Nachwuchs mehr zur Welt, gleichgültig, ob sie betäubt ist, oder nicht. Also gibt es keinen Selektionsvorteil für Antilopen mit Betäubung und damit auch keine Selektionskräfte in dieser Richtung.

Diesen Betäubungsmechanismus gibt es aber: den Schock! Wenn die Verletzung ein bestimmtes Ausmaß überschritten hat, sodaß kein Überlebern mehr möglich ist, gibt das Gehirn körpereigene Substanzen ins blut, die den Schmerz blockieren!

Joachim


08192008 Lieber Peter,
in meiner Evolutionsdiskussion mit dem Biologen Thomas Waschke sind wir inzwischen bei Folgendem angelangt:

„Was du hier schreibst, müßte die normalen (also von jeder Philosophie unbeleckten) Biologen schockieren, denn immerhin stimmst du mit mir darin überein, daß das Fehlen des Zufälligen in der Rückschau zeigt, daß die Vergangenheit eine Projektion von uns ist und nicht eine Widerspiegelung des wirklichen Geschehens, welches ja beim voranschreiten von Zufällen durchsetzt sei (zB bei der Mutation). Daraus folgt, daß die Evolutionstheorie bloß das Ordnungsschema unserer kognitiven Welt abgibt, nicht jedoch das wirkliche Geschehen in der sog. Natur. Wir erleben unsere Welt, als ob Evolution stattgefunden hätte, aber sie hat nicht…“

Ist das das stärkste Argument gegen die Evolutionstheorie?

„Wie kriegt man es in die Köpfe studierter Biologen hinein, daß ein jeder in seiner eigenen kognitiven Welt lebt? Kein Mensch sieht die Welt, wie sie „an sich“ ist, sondern das Produkt seiner Interpretation, Abbildungen in einem dreidimensionalen kognitiven Raum und kognitiver Zeit. Unsere Körper (einschl. materielles Gehirn) und unsere Umwelt sind Konstruktionen, die unser wahres „Gehirn“ (ich nenne es die raum- und zeitlose, ewige Seele) vorgenommen hat. Wir leben in der materialisierten Gestalt unserer Theorien von der Welt. Wissenschaft findet ausschließlich innerhalb dieser fiktiven Erscheinungswelt statt, nicht bewußt in der Wirklichkeit, die dahinter steht. Von dieser wahren Welt scheinen nur Philosophen und religiöse Menschen zu ahnen, aber wohl nur ein geringer Prozentsatz studierter Biologen.“

viele Grüße Joachim


08191559: Hallo, Joachim,

>“Was du hier schreibst, müßte die normalen (also von jeder Philosophie unbeleckten) Biologen schockieren, denn immerhin stimmst du mit mir darin überein, daß das Fehlen des Zufälligen in der Rückschau zeigt, daß die Vergangenheit eine Projektion von uns ist und nicht eine Widerspiegelung des wirklichen Geschehens, welches ja beim voranschreiten von Zufällen durchsetzt sei (zB bei der Mutation).

Wo genau ist der Unterschied zwischen einer „Projektion“ und einer (evtl. verzerrten) Widerspiegelung.

Ich hatte ja schon gesagt, daß der Begriff „Zufall“ fast synonym mit „nicht (konkret) wissen“ übersetzt werden könnte. Betrachten wir mal eine Runde Roulette und nehmen wir an, der Ausgang wäre rein zufällig. Ich kann vorher nicht bestimmen, was denn da für eine Zahl kommt (wäre zwar schön aber … naja). Nachher weiß ich, welche Zahl gekommen ist, ich habe mein Unwissen über den Ausgang des Wurfes durch Erfahrung vermindert.
Wenn ich beim Wurf die Augen geschlossen habe oder bei dieser Runde auf der Toilette war (und es erzählt mir später keiner was), dann weiß ich auch in der Rückschau nicht, was gewesen ist. Die Elimination des zufälligen (oder sagen wir: beliebigen) ist im Grunde einfach das, was wir als Lernen bezeichnen. Und natürlich stimmt es, daß ein solcher Lernvorgang einer Projektion der Vergangenheit in uns erzeugt. Die Roulette-Zahlen, bei denen wir auf der Toilette waren, werden in der Projektion ausgeblendet.

>Daraus folgt, daß die Evolutionstheorie bloß das Ordnungsschema unserer kognitiven Welt abgibt, nicht jedoch das wirkliche Geschehen in der sog. Natur.

> Wir erleben unsere Welt, als ob Evolution stattgefunden hätte, aber sie hat nicht…“

Mit dem ersten Teil des Satzes bin ich sofort einverstanden, der zweite ist eine weder verifizierbare noch falsifizierbare Aussage. Vielleicht kommt es uns so vor, als habe Evolution stattgefunden, und es war auch so. Vielleicht auch nicht. Wer soll das entscheiden, wer kann es?

>Ist das das stärkste Argument gegen die Evolutionstheorie?
>
>“Wie kriegt man es in die Köpfe studierter Biologen hinein, daß einjeder in seiner eigenen kognitiven Welt lebt? Kein Mensch sieht die Welt, wie sie „an sich“ ist, sondern das Produkt seiner Interpretation, Abbildungen in einem dreidimensionalen kognitiven Raum und kognitiver Zeit. Unsere Körper (einschl. materielles Gehirn) und unsere Umwelt sind Konstruktionen, die unser wahres „Gehirn“ (ich nenne es die raum- und zeitlose, ewige Seele) vorgenommen hat. Wir leben in der materialisierten Gestalt unserer Theorien von der Welt. Wissenschaft findet ausschließlich innerhalb dieser fiktiven Erscheinungswelt statt, nicht bewußt in der Wirklichkeit, die dahinter steht. Von dieser wahren Welt scheinen nur Philosophen und religiöse Menschen zu ahnen, aber wohl nur ein geringer Prozentsatz studierter Biologen.“

In Ermangelung jeglichen Wissens, wie die Welt hinter den Dingen der Erscheinungswelt ist, ist es da als „Arbeitshypothese“ nicht sinnvoll, die Dinge so zu nehmen wie sie erscheinen.

Ich hatte bei einem physikalischen Praktikum mal ein interessantes Erlebnis. Wir hatten eine Apparatur, in der irgendwelche Elektronen rumsausten. Die ganzen Meßgeräte und Regelknöpfe, mit Hilfe derer wir bestimmte Phänomene vermessen sollten, standen vielleicht 2 m links neben dieser eigentlichen Apparatur auf einem gesonderten Tisch. Vor diesem saßen wir dann zu zweit und drehten an irgendwelchen Einstellungen und lasen die Meßwerte ab. Irgendwann habe ich dann zu meinem Kollegen gesagt: „Während wir hier so rummessen, kommt es mir fast so vor, als ob die Physik hier in den Meßgeräten ist, obwohl ich ganz genau weiß, daß die Apparatur in der Kiste da drüben ist“.
Und in der Tat: Wenn die Apparatur in der Kiste nebendran nur eine Attrappe gewesen wäre, die eigentliche Apparatur hätte aber im Keller gestanden und wäre nur über lange Kabel mit unseren Meßgeräten verbunden gewesen; wir hätten uns kein bißchen anders verhalten. Die Frage ist: aus welchem Grund hätten wir uns anders verhalten sollen?

Ich weiß nicht, ob die Analogie klar wird.

Herzliche Grüße – P


08201244:

> >“Was du hier schreibst, müßte die normalen (also von jeder Philosophie unbeleckten) Biologen schockieren, denn immerhin stimmst du mit mir darin überein, daß das Fehlen des Zufälligen in der Rückschau zeigt, daß die Vergangenheit eine Projektion von uns ist und nicht eine Widerspiegelung des wirklichen Geschehens, welches ja beim voranschreiten von Zufällen durchsetzt sei (zB bei der Mutation).
>
> Wo genau ist der Unterschied zwischen einer „Projektion“ und einer (evtl. verzerrten) Widerspiegelung.

Wenn die Vergangenheit bloß eine Anschauung aus einer „ewigen Gegenwart“ wäre (also eine Art abgewickelte Gegenwart wäre), wäre sie eine Projektion, bzw. Abwicklung. Wenn es eine lineare Zeit gäbe, die eine frühere Welt von einer späteren Welt real trennen würde, würde unsere Ansxchauung die Wirklichkeit widerspiegeln.
>
> Ich hatte ja schon gesagt, daß der Begriff „Zufall“ fast synonym mit „nicht (konkret) wissen“ übersetzt werden könnte. …

> Die Elimination des zufälligen (oder sagen wir: beliebigen) ist im Grunde einfach das, was wir als Lernen bezeichnen. Und natürlich stimmt es, daß ein solcher Lernvorgang einer Projektion der Vergangenheit in uns erzeugt.

Okay, ich war hier von einer anderen Art des Zufalls ausgegangen. Ich hatte gedacht, wenn der Zufall indeterminiert ist, zerbricht er die rationale Verbindung zu dem, was via Mutation kommt. Das würde dann natürlich auch in der Rückbetrachtung gelten: Wir könnten dann nichts mehr über die Vergangenheit wissen, nicht mal, wer unsere Eltern sind usw. Bei „deinem“ Zufall unterstellt man eine unentdeckte, evtl unentdeckbare, Determination. Dann ist eine Geschichtswissenschaft (und die Evolutionstheorie ist doch eine oder?) möglich. Aber: Was ist dann Mutation, wenn alles determiniert ist?
>
> >Daraus folgt, daß die Evolutionstheorie bloß das Ordnungsschema unserer kognitiven Welt abgibt, nicht jedoch das wirkliche Geschehen in der sog. Natur.
>
> > Wir erleben unsere Welt, als ob Evolution stattgefunden hätte, aber sie hat nicht…“
>
> Mit dem ersten Teil des Satzes bin ich sofort einverstanden, der zweite ist eine weder verifizierbare noch falsifizierbare Aussage. Vielleicht kommt es uns so vor, als habe Evolution stattgefunden, und es war auch so. Vielleicht auch nicht. Wer soll das entscheiden, wer kann es?

Da sind wir wieder bei der Frge aller Fragen, ob alles determiniet ist oder ob es Freiheit gibt. Die Wissenschaft kann die Frage nicht beantworten, da sie ausschließlich nach Determination sucht. Es gibt kein rationales (deterministisches) Argument für die Existenz der Freiheit. Muß man sie sich einfach herausnehmen, fordern, tun als ob es sie gäbe…?

> >“Wie kriegt man es in die Köpfe studierter Biologen hinein, daß einjeder in seiner eigenen kognitiven Welt lebt? Kein Mensch sieht die Welt, wie sie „an sich“ ist, sondern das Produkt seiner Interpretation, Abbildungen in einem dreidimensionalen kognitiven Raum und kognitiver Zeit
>
> In Ermangelung jeglichen Wissens, wie die Welt hinter den Dingen der Erscheinungswelt ist, ist es da als „Arbeitshypothese“ nicht sinnvoll, die Dinge so zu nehmen wie sie erscheinen.

Auch dann, wenn wir wissen, daß uns damit zu toten Robotern machen?
>
> Ich hatte bei einem physikalischen Praktikum mal ein interessantes Erlebnis. Wir hatten eine Apparatur, in der irgendwelche Elektronen rumsausten. Die ganzen Meßgeräte und Regelknöpfe, mit Hilfe derer wir bestimmte Phänomene vermessen sollten, standen vielleicht 2m links neben dieser eigentlichen Apparatur auf einem gesonderten Tisch. Vor diesem saßen wir dann zu zweit und drehten an irgendwelchen Einstellungen und lasen die Meßwerte ab. Irgendwann habe ich dann zu meinem Kollegen gesagt: „Während wir hier so rummessen, kommt es mir fast so vor, als ob die Physik hier in den Meßgeräten ist, obwohl ich ganz genau weiß, daß die Apparatur in der Kiste da drüben ist“. Und in der Tat: Wenn die Apparatur in der Kiste nebendran nur eine Attrappe gewesen wäre, die eigentliche Apparatur hätte aber im Keller gestanden und wäre nur über lange Kabel mit unseren Meßgeräten verbunden gewesen; wir hätten uns kein bißchen anders verhalten. Die Frage ist: aus welchem Grund hätten wir uns anders verhalten sollen?
>
> Ich weiß nicht, ob die Analogie klar wird.

Aber es war doch sinnvoll, dir diese Frage zu stellen! Du bist doch im Vorteil, wenn du weißt, daß Erscheinung und Ding-an-Sich nicht identisch sein müssen. Stell dir vor, dein Kollege hätte plötzlich die Elektronen im Meßapparat gesucht. Du hättest ihn mit Recht für töricht gehalten. Ich meine, dieses Unerforschliche ist das Land, in welches die Wissenschaft noch erst hineinwachsen kann. Wenn du der Empirie verfallen bist, kann du kein wissenschaftliches Neuland mehr entdecken. Aus diesem Grund schon ist Philosophie gut. Sie bereitet den Boden….
>
> Herzliche Grüße Joachim


08221031: Hallo, Joachim,

>Wenn die Vergangenheit bloß eine Anschauung aus einer „ewigen Gegenwart“ wäre (also eine Art abgewickelte Gegenwart wäre), wäre sie eine Projektion, bzw. Abwicklung. Wenn es eine lineare Zeit gäbe, die eine frühere Welt von einer späteren Welt real trennen würde, würde unsere Ansxchauung die Wirklichkeit widerspiegeln.

>> Ich hatte ja schon gesagt, daß der Begriff „Zufall“ fast synonym mit „nicht (konkret) wissen“ übersetzt werden könnte. …

>> Die Elimination des zufälligen (oder sagen wir: beliebigen) ist im Grunde einfach das, was wir als Lernen bezeichnen. Und natürlich stimmt es, daß ein solcher Lernvorgang einer Projektion der Vergangenheit in uns erzeugt.

>Okay, ich war hier von einer anderen Art des Zufalls ausgegangen. Ich hatte gedacht, wenn der Zufall indeterminiert ist, zerbricht er die rationale Verbindung zu dem, was via Mutation kommt. Das würde dann natürlich auch in der Rückbetrachtung gelten: Wir könnten dann nichts mehr über die Vergangenheit wissen, nicht mal, wer unsere Eltern sind usw. Bei „deinem“ Zufall unterstellt man eine unentdeckte, evtl unentdeckbare, Determination. Dann ist eine Geschichtswissenschaft (und die Evolutionstheorie ist doch eine oder?) möglich. Aber: Was ist dann Mutation, wenn alles determiniert ist?

Ich glaube, ich ahne wo das Problem ist, und versuche es mal zu beschreiben:

Nehmen wir mal an, wir nehmen zu unseren drei Dimensionen die vierte der Zeit wie eine Raumdimension einfach hinzu (der Einfachheit nicht irgendwie aufgewickelt sondern linear). In diesem Bild betrachten wir unsere Welt. Die „geschichtlichen“ Ereignisse sind dann quasi statisch eingefroren, in diesem Bild gibt es ja keine Bewegung mehr. Die Bewegung eines Tennisballes ist dann z.B. so eine Art Zylinder in dieser vierdimensionalen Raumzeit. Ich stelle mir das gerne so wie einen Bernsteinkristall vor.

Jetzt können wir uns die Frage stellen, wo in diesem Bild noch Zufall ist. Wenn wir den ganzen Kristall (der ja sozusagen unendlich ausgedehnt ist, sehen können), dann gibt es hier eigentlich nicht mehr viel Zufälliges. Denn in dem Gedankenexperiment sind wir dann ja zeitlose Wesen, die auf den Kristall von außen draufschauen.

Unsere eigentliche Sicht der Dinge entspricht etwa einer Sicht auf den Kristall, bei dem der „zukünftige“ Teil total vernebelt ist und der „vergangene“ Teil teilweise vernebelt. Die Dinge, die wir vor lauter Nebel nicht sehen können, würde ich dann als Zufall bezeichnen.

Ob in dem Nebel wirklich Dinge sind oder nicht, kann, so glaube ich, keiner wirklich sagen.

Apropos Determination: Kennst Du eigentlich den Laplace’schen Dämon?

>> Vielleicht kommt es uns so vor, als habe Evolution stattgefunden, und es war auch so. Vielleicht auch nicht. Wer soll das entscheiden, wer kann es?

>Da sind wir wieder bei der Frge aller Fragen, ob alles determiniet ist oder ob es Freiheit gibt. Die Wissenschaft kann die Frage nicht beantworten, da sie ausschließlich nach Determination sucht. Es gibt kein rationales (deterministisches) Argument für die Existenz der Freiheit. Muß man sie sich einfach herausnehmen, fordern, tun als ob es sie gäbe…?

Ich habe für mich entschieden, genau das zu tun. Denn ich sehe die naturwissenschaftlichen Methoden, Modelle und Theorien als eine Möglichkeit an, bestimmte Teile der Welt besser zu verstehen. Ich denke mir (recht pragmatisch), daß der Fehler weniger fatal ist, wenn ich mir eine Freiheit einbilde, die ich vielleicht nicht habe, als wenn ich mir selbst die Freiheit abstreite, obwohl ich sie habe und nur nicht erkenne. Ich denke mir, man soll vor der Naturwissenschaft und ihren Ergebnissen Respekt haben; sie entgegen unseren persönlichen Erfahrungen zum allumfassenden Weltbild zu erheben, wird ihr nicht gerecht, genausowenig wie uns. Wie alles Menschenwerk ist auch die Naturwissenschaft nicht perfekt; aber ist das kein Grund, sie als ganzes abzulehnen.

>> In Ermangelung jeglichen Wissens, wie die Welt hinter den Dingen der Erscheinungswelt ist, ist es da als „Arbeitshypothese“ nicht sinnvoll, die Dinge so zu nehmen wie sie erscheinen.

>Auch dann, wenn wir wissen, daß uns damit zu toten Robotern machen?

Ich meine nicht unbedingt, die Dinge so zu nehmen, wie die momentan aktuellste Theorie sie beschreibt; das macht man in seiner Arbeit als Wissenschaftler und selbst das hat auch viele interessante und schöne Seiten. Das Leben und die Freiheit steckt hier z.B. in der Auswahl von bestimmten Aspekten der Dinge; und in einer komplizierten Welt wie unserer ist das in der Tat eine riesige Menge an Freiheit, manchmal mehr, als man will!

Aber ich meinte bei dem Satz in der letzten Mail wirklich, „wie sie uns erscheinen“, also wie wir sie wahrnehmen, mehr oder weniger unabhängig davon, was uns wissenschaftliche Theorien sagen.

Ich war mal auf einer Sommerakademie und wir hatten dort einen Abendvortrag eines Berliner Professors für Astrophysik, der, wie seine Sprache deutlich verriet, aus Bayern kam. Er hat einen sehr schönen, und auch emotionalen Vortrag gehalten, der etwa mit den Worten endete: “ Es kommt nicht so drrrauf an, wieviel belebte Planeten es außer unsrrem noch gibt, aber es sind wahrrscheinlich nicht so arrrg viel. Also: Pass’mer gut drrauf auf!“
Nach dem Vortrag haben wir dann draußen auf der Terasse des Schlosses gestanden, wo wir untergebracht waren und haben nach den Sternen geschaut. Der Professor kam zu uns und schaute auch nach oben, und freute sich offensichtlich an der Schönheit des Sternenhimmels. Eine Mitstudentin meinte, es wäre schade, daß sie so wenig von der Astronomie verstünde. Woraufhin der Professor meine: „Da brauchst nix zu verstehn – des is trotzdem schee!“

>Aber es war doch sinnvoll, dir diese Frage zu stellen!

Ich glaube, es gibt nur sehr wenige sinnlose Fragen. Es sind die offenen Fragen, nicht unbedingt die fertigen Antworten, die nicht nur die Wissenschaft weiterbringen, sondern auch den Menschen in seiner Gesamtheit.

Das, denke ich, sollte auch mehr oder weniger das Motto der Mailing-Liste sein. Eine prägnante, gut formulierte Frage ist meist viel brisanter als ein weitschweifiger Text. Und zwar deshalb, weil man sie als Ganzes gleichzeitig im Kopf haben kann und weil sie Raum gibt, eigene Vorstellungen mit ihr zu verbinden, von denen ja jeder etwas andere hat. So wird eine Frage sehr viel eher als ein Theoriegebäude der Tatsache gerecht, daß jeder in seiner eigenen kognitiven Welt lebt.

>Ich meine, dieses Unerforschliche ist das Land, in welches die Wissenschaft noch erst hineinwachsen kann. Wenn du der Empirie verfallen bist, kann du kein wissenschaftliches Neuland mehr entdecken. Aus diesem Grund schon ist Philosophie gut. Sie bereitet den Boden….

Kann die Wissenschaft in ein Land hineinwachsen, das prinzipiell unerforschlich ist? Oder ist es ihre Aufgabe, die Grenze von Erforschtem zu Unerforschtem zu verschieben.

Dabei habe ich nicht unbedingt das Bild vor Augen, daß – sagen wir – Berlin solange expandiert, bis von Brandenburg nix mehr übrig ist.

Ich habe eher die Analogie eines Apfelmännchen-Fraktals im Kopf, bei dem durch Iterationen einer Gleichung eine Menge immer kleiner wird, aber mit jeder Iteration um sehr viel weniger, so daß man weiß, daß selbst nach unendlich vielen Iterationen ein bedeutender Rest bleiben wird; der aber mit
einer unendlich komplizierten (und ästhetisch sehr schönen) Grenze, die reich an Strukturen ist. Wenn Du persönliche Erfahrungen mit Fraktalen machen willst, kannst Du im Internet mal suchen, ob Du Dir von irgendwoher das Programm WinFract laden kannst; ich kann auch in der Uni nochmal suchen, wo es das gibt und Dir nochmal schreiben.

Herzliche Grüße – P

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