- Teil: Einleitung
In der folgenden Arbeit möchte ich den Versuch wagen, die Theorie von Peter L. Berger und Thomas Luckmann: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit – Eine Theorie der Wissenssoziologie, S. 49 – 201, fortzuführen. Berger und Luckmann geben zu, nicht zu wissen, bis in welche Tiefe dessen, was wir für Wirklichkeit halten, hinein die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit reicht:
„Symbolische Sinnwelten, die den Anspruch erheben, daß alle Wirklichkeit im Sinne des Menschen sinnhaft sei, und den ganzen Kosmos zum Zeugen für die Gültigkeit der menschlichen Existenz anrufen, lassen ahnen, wie weit die Projektionen des Menschen reichen.“ (112)
Auf Seite 192 lesen wir: „Der Magen knurrt, auch wenn der Mensch als Weltenbauer tätig ist.“ Auf Seite 195 steht: „Diese Welt wird ihm (dem Menschen) zur dominierenden und definitiven Wirklichkeit. Ihre Grenzen sind von der Natur gesetzt.“
Sätze wie diese lassen den Schluß zu, daß die Autoren nicht glauben, daß die Natur konstruiert wird. Den Begriff „Wirklichkeit“ beziehen sie eher auf unser Modell davon, also auf das, was wir von der Natur erleben, was wir uns darunter vorstellen.
Ich will im folgenden nun auszuloten versuchen, wie weit nun die Konstruktion der Wirklichkeit geht. Gibt es eine vom Menschen unabhängige Natur, in welche der Mensch hineinevoltiert ist und auf welche der Mensch bloß sein Gesellschaftssystem als künstliches Konstrukt aufoktroyiert hat oder ist die Natur nichts anderes, als die externalisierte Vorstellung des Menschen? Wo zwischen den Extremen des naiven Realismus („Die Natur ist völlig unabhängig von mir da draußen, und sie ist so, wie ich sie sehe!“) und dem Solipsismus („Die Natur ist die Innenansicht meines eigenen Geistes!“) stehen Berger/Luckmann, und wo stehe ich? Haben wir bloß unsere Gesellschaft konstruiert oder sind wir auch Konstrukteure der gesamten Natur (einschließlich unserer selbst) oder gar ihrer Bausteine, der Moleküle und Atome? Sind wir am Ende gar selbst Konstrukteure der Naturgesetze samt Raum und Zeit?
Es folgt eine Zusammenfassung des Buches ohne auf die originale Kapiteleinteilung zu verzichten. Die eingeklammerten Zahlen geben die entsprechenden Seitenzahlen im Original wider.
- Teil: Zusammenfassung von „Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit“
- Gesellschaft als objektive Wirklichkeit
- Institutionalisierung
- a) Organismus und Aktivität: Pflanzen und Tiere leben in geschlossenen Welten, deren Strukturen durch die biologische Ausrüstung jeder Spezies im voraus bestimmt sind. Im Gegensatz dazu ist die Umweltbeziehung des Menschen durch „Weltoffenheit“ charakterisiert. (50) Die Triebe des Menschen sind unspezialisiert und ungerichtet. Dadurch ist der menschliche Organismus fähig, seine konstitutionell gegebenen Fähigkeiten auf einer sehr breiten und noch dazu sehr schwankenden Skala immer auswechselbarer Tätigkeiten einzusetzen. „Menschsein ist sozio-kulturell variabel.“ (51) „Der Mensch macht seine eigene Natur – oder, noch einfacher: der Mensch produziert sich selbst.“ (52) Er ist gleicherweise Subjekt wie Objekt. Es stellt sich die Frage, wie es angesichts dieser „Exzentrizität“ und „Weltoffenheit“ zu stabilen humanen Ordnungen kommen kann. Gesellschaftsordnung ist nicht Teil der „Natur der Dinge“ und kann nicht aus „Naturgesetzen“ abgeleitet werden. (55) Allerdings ist die Notwendigkeit gesellschaftlicher Ordnung in der biologischen Verfassung des Menschen angelegt. (56)
- b) Ursprünge der Institutionalisierung: Alles menschliche Tun ist dem Gesetz der Gewöhnung unterworfen. Das spart Energie – zumindest die, sich immer wieder neu entscheiden zu müssen – und schafft die Basis zu auf diesen Routinen aufbauenden Innovationen. Die Gewöhnung schafft Begrenzung des Handelns. Dies wird vom Menschen als Gewinn aufgefaßt, da sie die Unsicherheit seiner Triebe kompensiert. Man nennt diesen Prozeß „Habitualisierung“. Vor dem Hintergrund habitualisierten Handelns öffnet sich ein Vordergrund für Einfall und Innovation. Habitualisierungsprozesse gehen jeder Institutionalisierung voraus. (57) Institutionalisierung findet statt, sobald habitualisierte Handlungen durch Typen von Handelnden reziprok typisiert werden. Die Institution macht aus Akteuren und Akten „Typen“. Gewohnheit wird zu Gesetz, das die Gewohnheit sanktioniert und die menschliche Handlung kontrolliert. Damit haben wir die Institution. Folge: Der Mensch, bzw. sein Handeln, wird berechenbar. Die Reduktion und Formalisierung der Handlungen führen zur Arbeitsteilung. So wird „eine gesellschaftliche Welt … allmählich konstruiert, in der die Fundamente einer expansiven institutionalen Ordnung schon vorhanden sind.“ (61) Institutionen erlangen einen Status von Wirklichkeit, „die dem Menschen als äußeres, zwingendes Faktum gegenübersteht.“ (62) Diese Verdinglichung der Welt schreitet fort, d.h. die Welt „verdichtet“ und „verhärtet“ sich, wenn die Institutionen von den Gründern auf ihre Kinder weitergegeben werden. Für die Kinder sind sie von vorn herein gegebenes Faktum. Aber auch für die Eltern wird die Institution „realer“ durch die Beobachtung, mit welcher Selbstverständlichkeit ihre Kinder damit umgehen. Die Verhärtung der Welt geschieht durch ihre sinkende Durchschaubarkeit. (63) „Der Vorgang, durch den die Produkte tätiger menschlicher Selbstentäußerung objektiven Charakter gewinnen, ist Objektivation, das heißt Vergegenständlichung.“ (64f) Folge: Das Produkt wirkt zurück auf seinen Produzenten: Die verdinglichte Welt wird im Verlauf der Sozialisation ins Bewußtsein zurückgeholt. Man nennt dies „Internalisierung“. Das wissenschaftliche Erforschen einer Gesellschaft ist in diesem Sinne zweischneidig: Man erforscht nicht nur die Gesellschaft, sondern produziert diese damit gleichzeitig. (71) Die rationale Erforschung des Menschen macht diesen rational, berechenbar und somit kontrollierbar.
- c) Sedimentbildung und Tradition: „Das Bewußtsein behält nur einen geringen Teil der Totalität menschlicher Erfahrung. Was es behält, wird als „Sediment“ abgelagert, das heißt: die Erfahrung erstarrt zur Erinnerung und wird zu einer erkennbaren und erinnerbaren Entität“ (72), die als „Tradition“ überliefert werden kann. Traditionen dienen als Stabilisatoren der Gesellschaft.
- d) Rollen: Wie schon gesagt, werden nicht nur Personen typisiert, sondern auch Handlungen und Handlungsverläufe. Wenn solche Handlungsverläufe als eigenständige Einheiten wiedererkannt werden und einen „objektiven Sinn“ haben, der ihnen von der Gesellschaft zugeschrieben wurde, spricht man von „Rollen“. Ein Mensch kann sich teilweise mit verschiedenen Rollen identifizieren und als ihr Vollstrecker auftreten. Diese Teile bilden das „gesellschaftliche Selbst“ des Menschen, das als Gegenüber vom subjektiven Selbst erlebt wird. (77f) „Institutionalisiertes Verhalten kommt ohne Rollen nicht aus. Rollen haben ihren Teil an den Kontrollfunktionen der Institutionalisierung.“ (79) Institutionen repräsentieren sich in der Regel durch Rollen. (80)
- e) Grenzen und Formen der Institutionalisierung: Hier wird gefragt: „Wie groß ist der Anteil institutionalisierter Tätigkeit verglichen mit dem Bereich, der nicht institutionalisiert ist? Wenn alle Lebensbereiche institutionalisiert sind, ist alles Wissen gemeinschaftlich. Ohne Institution wäre alles Wissen rollenspezifisch oder gar rein individuell. Aus diesem Zusammenhang läßt sich ableiten, daß die Grenzen der Institutionalisierung im Menschen dort liegen, wo Externalisierung nicht gelingt, bzw nicht möglich ist. Die o.g. Arbeitsteilung und Wirtschaftsüberfluß (86) tendieren zur Auflösung gemeinschaftlichen Wissens.
Zur Form der Institutionalisierung sagen die Autoren, daß sie durch Mythologien (88) geprägt werden. Es gebe sogar die exklusive Rolle des Mythenerfinders. Diese Mythen sind allerdings nur solange wirksam, wie an ihre objektive Realität geglaubt wird, d.h. das Wissen um ihre Künstlichkeit muß vergessen worden sein. Ihre Herkunft muß ins quasi Außerirdische bzw Überirdische verlagert worden sein, (95) womit eine Umkehrung der Kausalität verbunden ist: „Der Mensch, als Hervorbringer einer Welt, wird als deren Hervorbringung gesehen.“ (96)
Wirtschaftlicher Überschuß erleichtert die Herausbildung von sog. ‘Subsinnwelten’. Diese werden von nur Teilen der Bevölkerung getragen. Dadurch sind Vergleichsmöglichkeiten gegeben mit der Folge, daß sie weniger Bindungskraft aufweisen. Ein Mensch kann Subsinnwelten betreten und wieder verlassen. Subsinnwelten eröffnen eine Vielfalt von Perspektiven, unter denen die Gesamtgesellschaft gesehen werden kann. (91)
Es ist möglich, daß sich das Wissen einer Subsinnwelt von ihrer existenziellen Herkunft ablöst (92) und sich scheinbar autonom weiterentwickelt und sich vom Rest der Welt abkoppelt. Es entstehen hermetisch versiegelte Enklaven des „Geheimwissens“. (93) Problematisch wird hier dann die Legitimation in der Gesellschaft, welche ja aus dieser Subsinnwelt ausgeschlossen ist.
- Legitimierung
- a) Ursprünge symbolischer Sinnwelten: „Legitimierung … läßt sich als „sekundäre“ Objektivation von Sinn bezeichnen. Sie produziert eine neue Sinnhaftigkeit, die dazu dient, Bedeutungen, die ungleichartigen Institutionen schon anhaften, zu (übergeordneter) Sinnhaftigkeit zu integrieren.“ (98f) Demnach ist sie eine subjektive Herstellung von Verbindung zwischen objektiv getrennten Institutionen. Der einzelne Mensch kann damit als Sinnkonstrukt seinen eigenen Lebenslauf erkennen, (99) d.h. er konstruiert sich eine plausible Geschichte.
Analytisch kann man Unterschiede zwischen verschiedenen Ebenen der Legitimation machen. Auf der 1. Ebene beginnender Legitimation bewegen sich alle die simplen, üblichen Versicherungen wie ‘So ist es eben’; ‘Das macht man so’ und dergleichen. Diese Ebene ist vortheoretisch. Ihr folgt die 2. Ebene, in der theoretische Postulate in rudimentärer Form auftauchen, zu finden in Volksweisheiten, Legenden, Sprichwörtern und Märchen. Auf der 3. Ebene der Legitimation stehen explizite Legitimationstheorien, die schon so kompliziert sind, daß es dazu spezieller Lehrer – „hauptamtlicher Legitimatoren“ – bedarf. Es entsteht „Wissenschaft“, die sich von ihren sie tragenden Menschen ablösen und ein Eigenleben entwickeln kann (102), zB die Mathematik, die sich nach Setzung ihrer Grundlagen aus ihren impliziten Regeln autonom weiterentwickelt. Der Anfang wurde gesetzt; der Rest entdeckt. Die 4. Ebene hat die Sphäre praktischer Verwendung überschritten. Hier wird symbolisch auf andere Wirklichkeiten verwiesen, die nicht im Alltagsleben erfahren werden können. Dazu gehört in der Regel eine allgemeine Theorie des Kosmos und eine allgemeine Theorie des Menschen (103f) Man sieht nach Konstruierung dieser Ebene alle menschlichen Handlungen, auch jene in Grenzsituationen oder in größter Einsamkeit, am Maßstab dieser symbolischen Sinnwelt geordnet. Dies ist die Welt, in der wir leben. An ihrem Maßstab versichern wir uns unserer Existenz und beurteilen unser Leben – ob es „richtig“ sei oder nicht. Besonders die Legitimation des Todes, die uns bereit macht, ihn zu akzeptieren, gewinnen wir aus dieser höchsten uns vorstellbaren Ordnung. Indem wir die 4. Ebene mit ihren impliziten drei Unterebenen geschaffen haben, haben wir eine ganze Welt erschaffen. (103)
Damit hier nichts dem Zufall überlassen bleibt, gibt es Legitimatoren, die offiziellen Ausleger der Wirklichkeit“, bzw. die „Sachverständigen für Weltordnung“. Sie sind die Konstrukteure der Welt. Ihrem Willen ist es beispielsweise zu verdanken, daß wir unseren Träumen einen geringeren Wirklichkeitsstatus zueigenen, als der offiziellen symbolischen Sinnwelt. (104) Die Auslegung dessen, was zur „hellen Wirklichkeit der Alltagswelt“ gehört, schützt uns vor ‘ungesunden Gedanken’, diese Welt sei vielleicht nichts als eine Täuschung, und die Welt der heulenden Gespenster der Nacht und des absoluten Grauens sei die Realität. „Jede gesellschaftliche Wirklichkeit ist gefährdet und jede Gesellschaft eine Konstruktion am Rande des Grauens.“ (111) „Menschliche Existenz ist … eine ständige Externalisierung. Indem der Mensch sich entäußert, errichtet er die Welt, in die hinein er sich entäußert. … Symbolische Sinnwelten, die den Anspruch erheben, daß alle Wirklichkeit im Sinne des Menschen sinnhaft sei, und den ganzen Kosmos zum Zeugen für die Gültigkeit der menschlichen Existenz anrufen, lassen ahnen, wie weit die Projektionen des Menschen reichen.“ (112)
- b) Theoretische Konstruktion als Stütze für Sinnwelten: „Man kann – und das ist das Übliche – in einer symbolischen Sinnwelt ganz naiv leben und leben lassen. … Jeder kann „die Sinnwelt ‘bewohnen’ und sie als fraglose Gewißheit hinnehmen.“ Intellektuelle Reflexion dient dabei sogar als Stütze für die jeweilige Sinnwelt; sie erschließt eine symbolische Sinnwelt zweiten Grades. Sie erweist sich dadurch als unkreative Tätigkeit. Trotzdem ist jede symbolische Sinnwelt potentiell gefährdet (114). Es kann sich zB eine Menschengruppe bilden, die eine abweichende Interpretation bietet. Gelingt es ihr, die Abweichungen zu objektivieren, „wird (sie) Träger einer alternativen Wirklichkeitsbestimmung“ genannt. Sog. „Hüter der ‘offiziellen’ Wirklichkeitsbestimmung reagieren darauf in der Regel mit Repressalien (115) oder Therapie – früher Teufelsaustreibung, heute Psychoanalyse genannt (121) oder Nihilierung, also der Leugnung oder Integration des Anderen ins eigene System. Die herrschende Symbolwelt legt sich also eine „Theorie der Abweichung“ (122) zurecht, ‘Pathologie’ genannt. “Der Zusammenstoß alternativer Sinnwelten wirft automatisch die Machtfrage auf.“ (116f) Man erkennt, womit Machthaber sich beschäftigen. Allerdings sind sie oft gezwungen, die andersartige Deutung in ihr System zu transformieren, um den Verdacht zu entschärfen, die eigene Sinnwelt könne nicht wirklich zwingend sein. Im Kampf mit alternativen Systemen wird also das eigene oft bereichert. Solche Kämpfe werden allerdings weniger mittels Überzeugungsarbeit, als mit roher Waffengewalt ausgetragen. (117) Das Volk bekommt von solchen Kämpfen, bzw. den wahren Hintergründen und Motiven der Kriege, oft gar nichts mit. „Die Koexistenz einer naiven Mythologie bei den Massen und einer durchdifferenzierten Theologie bei der Elite von Theoretikern – die beide dieselbe Sinnwelt stützen sollen – ist ein häufiges historisches Phänomen.“ (120).
- c) Gesellschaftliche Organisation als Stütze für Sinnwelten: „Wirklichkeit ist gesellschaftlich bestimmt. Aber die Bestimmung wird immer auch verkörpert, das heißt: konkrete Personen und Gruppen sind die Bestimmer von Wirklichkeit. Will man den Zustand der gesellschaftlich konstruierten Sinnwelt … verstehen, so muß man die gesellschaftliche Organisation durchschauen, die es solchen Bestimmern ermöglicht, daß sie bestimmen. Etwas gröber ausgedrückt, verschiebt sich die Frage nach historischen Wirklichkeitskonzeptionen zwangsläufig vom abstrakten ‘Was?’ zum soziologisch konkreten ‘Wer?’.“ Hinter dem ‘Wer?’ verbergen sich die sog. Experten, die die „gesamte Jurisdiktion über den gesamten Wissensvorrat“ beanspruchen. „Sie sind, horrible dictu, Welt-Spezialisten.“ (125) Diese Inhaber der entscheidenden Machtpositionen sind „bereit, ihre Macht für die traditionellen Wirklichkeitsbestimmungen einzusetzen und sie der Bevölkerung autoritativ aufzuzwingen. Mögliche Konkurrenz für die Sinnwelt wird liquidiert, sobald sie auftaucht, nämlich entweder physisch zerstört … oder integriert.“ (130)
III. Gesellschaft als subjektive Wirklichkeit
- Die Internalisierung der Wirklichkeit: „Da Gesellschaft objektiv und subjektiv Wirklichkeit ist, muß ihr theoretisches Verständnis beide Aspekte umfassen. Beiden Aspekten wird … erst eigentlich gerecht, wer Gesellschaft als ständigen dialektischen Prozeß sieht, der aus drei Komponenten besteht: Externalisierung, Objektivation und Internalisierung.“ … „In der Gesellschaft sein heißt … an ihrer Dialektik teilhaben.“ Der Mensch wird jedoch nicht als Mitglied der Gesellschaft geboren. … Er muß „in seine Teilhaberschaft an der gesellschaftlichen Dialektik eingeführt (werden). Dieser Prozeß ist die Internalisierung.“ … „Der Einzelne ‘übernimmt’ (eine Welt), in der Andere schon leben.“ So lernt er seine eigene Bestimmung über die des Andern. Die Menschen bestimmen sich wechselseitig füreinander. (140) Ist dies beim Individuum gelungen, „ist es Mitglied der Gesellschaft. Der ontogenetische Prozeß, der das zustandebringt, ist die Sozialisation. Hier gibt es eine primäre und eine sekundäre Sozialisation.
- a) Primäre Sozialisation: Sie findet in der frühen Kindheit des Menschen statt und „umfaßt weit mehr als bloßes kognitives Lernen. Sie findet unter Bedingungen statt, die mit Gefühl beladen sind, und es gibt triftige Gründe dafür anzunehmen, daß ohne solche Gefühlsbindung an die signifikanten Anderen (zB Eltern) ein Lernprozeß schwierig, wenn nicht unmöglich wäre. Das Kind identifiziert sich mit seinen signifikanten Anderen emotional in mancherlei Weise. Wie auch immer es sich identifiziert, zur Internalisierung kommt es nur, wo Identifizierung vorhanden ist. Das Kind übernimmt die Rollen und Einstellungen der signifikanten Anderen , das heißt: es internalisiert sie und macht sie sich zu eigen. … Der Mensch wird, was seine signifikanten Anderen in ihn hineingelegt haben.“ … Entscheidend ist, „daß der Einzelne nicht nur Rollen und Einstellungen Anderer, sondern in ein und demselben Vorgang auch ihre Welt übernimmt.“ (141f) … Er bekommt eine Identität, das heißt, er erhält einen bestimmten Platz in der Gesellschaft. (143)
Das Erlernen der Sprache spielt dabei eine entscheidende Rolle: Es ist das wichtigste Instrument der Sozialisation. Das Bewußtsein des Einzelnen generalisiert – über das Sprechenlernen – die Anderen. Dadurch entsteht eine „Symmetrie zwischen objektiver und subjektiver Wirklichkeit. Was ‘außen’ wirklich ist, entspricht dem, was ‘innen’ wirklich ist. … Diese beiden Wirklichkeiten entsprechen einander, ohne sich zu decken.
Das subjektive Leben ist nicht völlig gesellschaftlich. Der Mensch erlebt sich selbst als ein Wesen innerhalb und außerhalb der Gesellschaft.“ (144) … Da er sich seine signifikanten Anderen nicht aussuchen kann, ist seine Identifikation mit ihnen quasi-automatisch. Er internalisiert nicht irgendeine Welt, sondern „die einzig vorhandene“. (145) „Die Welt der Kindheit ist dicht und zweifelsfrei wirklich.“ (146)
- b) Sekundäre Sozialisation: In einer Welt ausschließlich primärer Sozialisation weiß jeder alles über die Gesellschaft. Kommt es jedoch zur Distribution von Wissen, ist eine sekundäre Sozialisation für die Betroffenen unerläßlich. Sie ist “der Erwerb von rollenspezifischem Wissen, wobei die Rollen direkt oder indirekt von der Arbeitsteiligkeit kommen. … ‘Die Subwelten’, die mit der sekundären Sozialisation interniert werden, sind im Allgemeinen partielle Wirklichkeiten im Kontrast zur ‘Grundwelt’, die man in der primären Sozialisation erfaßt.“ (149) Die sekundäre Sozialisation ist weniger mit Emotionen verbunden, als die primäre. „Es ist notwendig, daß man seine Mutter liebt, aber nicht seinen Lehrer.“ (151). Dadurch ist sekundäre Sozialisation weniger stabil, als die primäre; die Identifikation mit dem dazugehörigen Wissen ist in der Regel geringer. So ist auch zu verstehen, daß die Funktionäre der sekundären Sozialisation im Prinzip austauschbar sind; „signifikant Andere“, zB die Eltern, sind es nicht. Die sekundäre Sozialisation muß aufgrund ihrer schwächeren Prägekraft durch pädagogische Maßnahmen ständig bekräftigt werden. (153) Trotzdem wird die sekundäre Sozialisation im Gegensatz zur primären, die als natürlich erlebt wird, als künstlich empfunden. (154)
- c) Bewahrung und Verwandlung subjektiver Wirklichkeit: Der mehr oder weniger ‘künstliche’ Charakter der sekundären Sozialisation macht die subjektive Wirklichkeit … verwundbar, … weil ihre Wirklichkeit weniger tief im Bewußtsein verankert ist. … Es gibt zwei Möglichkeiten subjektiver Wirklichkeitsabsicherung: Routine und Bewältigung von Krisen. … Darüber hinaus wird die subjektive Wirklichkeit ständig neu abgesichert „durch gesellschaftliche Interaktion des Einzelnen mit den Anderen.“ (159) … „Um gewiß zu bleiben, daß er tatsächlich ist, der er zu sein glaubt, braucht der Mensch … gefühlsgetragene Bestätigung von „signifikanten Anderen“. (161) Sie sind „die Versicherungsagenten seiner subjektiven Wirklichkeit.“ … „Das notwendigste Vehikel der Wirklichkeitserhaltung ist die Unterhaltung.“ (163) Die gesamte tägliche Konversation dient diesem Zweck.
Wie schon gesagt, objektiviert die Sprache die Welt. (164) Die Sprache begreift und erzeugt die Welt. Mit ihrer Hilfe erzeugt sich der Mensch eine Plausibilitätsstruktur: Zweifel an der Wirklichkeit seiner Welt kommen ihm lächerlich vor: „So lebt er in einer wohlsanktionierten Welt.“ (166)
Für etwaige Krisen, „in denen die Wirklichkeit zusammenzubrechen droht“, kennt die Gesellschaft besondere Verfahrensweisen: Riten, Tabus, Exorzismen, Flüche gegen Fremde, Abtrünnige oder Wahnsinnige. Sie dienen der inneren Hygiene. (167) Trotzdem ist es möglich, daß der Extremfall eines ‘Umschaltens’ von einer Welt zur anderen geschieht. Man nennt solche Transformationen „Verwandlung“. Um ‘verwandelte’ Menschen wieder in die Gesellschaft zu reintegrieren, ist Resozialisation notwendig. Nur ‘signifikant Andere’ können Führer in die neue alte Wirklichkeit werden. Sie müssen „den Gordischen Knoten des Zusammenhangsproblems“ zerschneiden, indem sie „die Suche nach Zusammenhängen aufgeben und die Wirklichkeit neu konstruieren.“ (173) „Das Urbild der Verwandlung ist die religiöse Konversion“ zB die eines Saulus zum Paulus. Verwandelte Personen erkennt man daran, daß sie eine andere Konversation führen. Sie haben eine „Neukonstruktion der ‘Konversationsmaschine’ erfahren. (170) Diese Vorgänge sind verbunden mit einer radikalen Neuinterpretation des Sinns vergangener Ereignisse oder Personen“. (171)
- Internalisierung und Gesellschaftsstruktur: In diesem Kapitel machen die Autoren Aussagen über den „Erfolg“ von Sozialisationen. „Als ‘erfolgreiche Sozialisation’ sehen wir ein hohes Maß an Symmetrie von objektiver und subjektiver Wirklichkeit (und natürlich Identität) an. ‘Symmetrie’ bedeutet, daß das Bild, das ich von mir habe, mit dem übereinstimmt, das die Gesellschaft von mir hat. Sozialisationen können mißlingen, wenn sich zB das sozialisierende Personal in Widersprüche verwickelt (179). Aber nicht nur signifikant Andere sind für Sozialisation ‘zuständig’; die gesamte Gesellschaft fühlt sich zuständig, wenn sie auf ‘falsch’ Sozialisierte trifft: „‘Richtig’ sozialisierte Menschen neigen mindestens dazu, einen Druck auf ‘falsch’ sozialisierte auszuüben.
Auf Seite 181 heißt es: „Wahrscheinlich sind alle Menschen, wenn sie erst sozialisiert sind, latente ‘Verräter an sich selbst’. Diese Aussage wird damit erklärt, daß es in unserer heutigen modernen Gesellschaft sehr oft widersprechende Sozialisationen gibt, zB die der Eltern und die des Freundeskreises, die den Probanden zu zerreißen drohen, sodaß er sich dem Zwang ausgesetzt fühlt, eine der Sozialisationen zu verraten.
Sehr in der Nähe von ‘mißglückter Sozialisation’ stellen die Autoren das Phänomen des ‘Individualismus’. (182) Sie beschreiben den Individualisten wie folgt: „Der Individualist ist ein besonderer gesellschaftlicher Typus, der wenigstens das Zeug dazu hat, ein Wanderer zwischen mehreren Welten zu werden, ein Mensch, der sein Selbst eigenwillig und überlegt aus dem ‘Material’ konstruiert hat, mit dem ihn eine Reihe möglicher Identitäten bestückt haben.“ … „Die subjektiv gewünschte Identität wird zu reiner Phantasieidentität, die sich im Bewußtsein des Menschen als sein ‘wirkliches’ Selbst objektiviert.“ Dies kann für vollintegrierte Mitglieder der Gesellschaft als mißlungene Sozialisation aufgefaßt werden. (183)
- Gedanken über Identitätstheorien: „Identität ist ein Phänomen, das durch die Dialektik von Individuum und Gesellschaft entsteht.“ (186) Theorien zur Identität sind in eine allgemeinere Interpretation der Wirklichkeit eingebettet. Sie sind in die symbolische Sinnwelt und deren Legitimation ‘eingebaut’ und wechseln je nach deren Charakter. Psychologische Theorien über Identität haben eine ganz besondere Kraft, Wirklichkeit zu setzen, weil sie „sich in den emotionsgeladenen Vorgängen der Identitätsbildung aktualisieren. Ihre Internalisierung wird dadurch beschleunigt, daß es um innere Wirklichkeit geht, so daß sie, während man sie internalisiert, auch schon verwirklicht wird… Die Psychologie produziert eine Welt, welche die Grundlage für ihre eigene Verifizierung bildet. Wir haben es … nicht mit Tautologie, sondern mit Dialektik zu tun.“ (Es würde sich um eine Tautologie handeln, wenn Individuum und Gesellschaft eins wären.)
- Organismus und Identität: Auf jede Phase menschlicher Wirklichkeitskonstruktion wirkt auch der Organismus ein und umgekehrt; er wird von ihr in Mitleidenschaft gezogen. Unsere Animalität wird durch die Sozialisation zwar transformiert, aber nicht aufgehoben. „Der Magen knurrt, auch wenn der Mensch als Weltenbauer tätig ist.“ (192) Man kann also durchaus von einer Dialektik zwischen Natur und Gesellschaft sprechen. Der Organismus setzt dem, was gesellschaftlich möglich ist, Grenzen, aber die gesellschaftliche Welt beschränkt auch das, was für den Organismus biologisch möglich wäre. (192) „Der Mensch ist biologisch bestimmt, eine Welt zu konstruieren und mit anderen zu bewohnen. Diese Welt wird ihm zur dominierenden und definitiven Wirklichkeit. Ihre Grenzen sind von der Natur gesetzt. Hat er sie jedoch erst einmal konstruiert, so wirkt sie zurück auf die Natur. In der Dialektik zwischen Natur und gesellschaftlich konstruierter Welt wird noch der menschliche Organismus umgemodelt. In dieser Dialektik produziert der Mensch Wirklichkeit – und sich selbst.“ (195)
Hier endet meine Zusammenfassung des Buches.
- Teil: Wissenschaftstheoretische Überlegungen
Ich werde im Folgenden einige Gedankenexperimente vorführen, die geeignet sind, Berger/Luckmanns Theorie weiterzuführen. Es handelt sich um Experimente, die meines Wissens von der legitimierten Wissenschaftsgemeinde noch nie getätigt worden sind, obwohl sie sich dem Experten förmlich aufzwingen. Ob hier die o.g. „Hüter der offiziellen Wirklichkeitsbestimmung“ bereits zugeschlagen haben, sei vorläufig noch dahingestellt; ich werde später versuchen, auch diese spannende Frage zu beantworten.
Überlegungen zum Thema „Zeit“: Um hier Wirklichkeit von Fiktion unterscheidbar zu machen, fragen wir uns, welche der drei Zeitabschnitte, nämlich „Vergangenheit“, „Gegenwart“ und „Zukunft“ wirklich sind. Die Vergangenheit ist vorbei. Sie ist nicht (mehr) wirklich, es sei denn als Erinnerungen oder Dokumente, soweit sie in der Gegenwart existieren. Die Zukunft gibt es (noch) nicht. Auch sie ist nicht wirklich. Ausschließlich die Gegenwart hat wirkliche Existenz. Dieser Zeitabschnitt mit der Dauer von null (Sekunden oder anderen Zeitmaßen) beinhaltet alles, was wirklich ist.
Da es ausschließlich Gegenwart gibt, verändert sie sich nicht in der Zeit. Das Gegenwärtige ändert sich „in sich selbst“ nach seiner eigenen inhärenten Struktur. Was wir als „Fluß der Zeit“ erleben, ist Resultat unserer reduktionistischen Theorien, mit denen wir in die Allgegenwart einen Zeitpfeil hineinkonstruieren. Es entsteht ein Nacheinander von Erscheinungen, welche wir mittels Kausalität wieder verbinden und das Ganze dann „logisch“ nennen, weil wir die Welt für logisch erachten. Von „Erscheinungen“ spreche ich, weil wir die Wirklichkeit nicht in ihrer gesamten allgegenwärtigen Komplexität wahrnehmen, sondern nur als (reduziertes) Modell, das wir uns von ihr gemacht haben: Was in Wirklichkeit ein inniges Umgestalten des allgegenwärtigen Seins ist, erleben wir als Objekte in einem Fluß der Zeit. Dieser Fluß ist Produkt unserer Theorie von der Welt. Wir haben die Zeitdimension externalisiert und nehmen dadurch der Zeit beraubte Objekte (Gegenstände) in der Zeit wahr. Die Zeit ist nun nicht mehr in den Objekten, sondern sie bildet ihre Umgebung, innerhalb derer nun die Objekte dauern. Die materiellen Atome existieren nun endlos lange im Strom der Zeit.
Überlegungen zum Thema „Raum“: Schließen wir in einem taghellen Zimmer die Augen, sehen wir vor unseren Augen etwas Schwarzes. Stimmt das? Nein! Vor unseren Augen ist ja immer noch das helle Zimmer! Wo also ist das Schwarze? Ist es die unbeleuchtete Rückseite unserer Augenlider? Das kann auch nicht stimmen, denn das Schwarze, das wir sehen, hat keinen Abstand. Allein: wir wissen, daß es der Raum ist, in welchen wir unsere optischen Wahrnehmungen hineinprojizieren, wenn wir die Augen öffnen. Genauer: Das Schwarze, das wir mit einem geschlossenen Auge sehen, ist eine Fläche; das Schwarze, das wir mit beiden geschlossenen Augen sehen, ist im Gehirn zu unserem Wahrnehmungsrahmen für optische Wahrnehmungen verschaltet. Es ist der dreidimensionale Raum, in dem wir leben. Es ist ein Konstrukt unserer Gehirne. Jeder sehende Mensch hat in seinem Gehirn einen unendlich großen dreidimensionalen Raum kreiert. Obwohl all diese Räume unendlich groß sind, überschneiden sich die Räume der einzelnen Menschen nicht, selbst dann nicht, wenn diese Menschen dicht nebeneinander stehen. Öffnen wir unsere Augen, wird die (vermeintliche) Außenwelt in diesen Raum hineinprojiziert.
Schauen wir des Nachts bei Neumond in den sternenklaren Himmel und richten wir unser Augenmerk auf das Schwarze zwischen zwei Sternen, müssen wir anerkennen, daß die Schwärze zwischen diesen hunderte Lichtjahre voneinander entfernten Sternen nicht etwa „da draußen“ ist, sondern daß es dieselbe Schwärze ist, die wir des Tags bei geschlossenen Augen in unserem Zimmer, bzw hinter unseren Augendeckeln – in unserem Gehirn sehen. Die Sterne – wie wir sie sehen – sind in jenem unendlichen Raum, den unsere Gehirne neuronal geschaltet haben.
Was für die Sterne gilt, gilt selbstverständlich für alle anderen materiellen Objekte: Sie sind Abbildungen – Projektionen – im Sehzentrum des Gehirns. Aber auch das Gehirn besteht aus Materie! Kann das Gehirn eine Abbildung in sich selbst sein? Unmöglich!
Wir müssen unsere Theorie modifizieren: Wir können den menschlichen Geist nicht mehr im Gehirn suchen, sondern umgekehrt: Das Gehirn ist in unserem Geist! Wir sind multidimensionaler Geist, der drei seiner Dimensionen zu einem schwarzen Raum (und eine Dimension zur linearen Zeit) verschaltet und mittels dieses Raum/Zeit-Rahmens sich selbst (als Gehirn, Mensch) und seine Welt abbildet. Aus einer Raum/Zeit/Materie-Singularität werden Objekte in Raum und Zeit kreiert. Die Objekte der Welt (einschließlich des Gehirns) sind ganz und gar Konstrukte unseres Geistes. Allerdings stellt sich nun die Frage, ob es überhaupt eine Außenwelt gibt. – Hier kommen nun die Träume ins Spiel; und ich erinnere daran, daß auch Berger/Luckmann Aussagen über den Stellenwert von Träumen gemacht haben, zB auf Seite 104.
19.10.2001: Der Stoff, aus dem die Träume sind, ist derselbe, aus dem die materielle Welt ist. Sowohl Gegenstände der Welt, als auch der Träume sind Projektionen in kognitive Räume. Die Welt unterscheidet sich vom Traum nur, insofern Träume von einem einzigen Träumer und die Welt von vielen Träumern „geträumt“ wird. Ob hinter dem Gesellschaftstraum namens „Welt“ noch eine reale Welt steckt, die dann mit Hilfe jenes Projektionsmechanismusses bloß mehr oder weniger treu abgebildet wird, muss erst noch geklärt werden. Unsere Träume könnten dann als unsere leerlaufenden Welterzeugungsmodule bezeichnet werden.
Meine Theorie, die die Inexistenz einer Außenwelt postuliert, ist trotzdem keine solipsistische Theorie. Ich sage zwar, daß alle Objekte der Welt in meinem Geist sind, aber ich unterstelle diesen Sachverhalt auch allen anderen bewußten Lebewesen. All diese Lebewesen träumten ursprünglich ihre Welten: keine dieser Welten war den anderen ähnlich. Aber die Wesen konnten miteinander kommunizieren, und die Kommunikation erhielt nur dann einen Sinn, sofern es Gemeinsamkeiten gab. (Auch Berger/Luckmann schreiben, daß die Sprache die Welt objektiviert – zum Objekt macht, zB S. 163/164) Über die Brücke einer ersten Gemeinsamkeit konnten weitere Gemeinsamkeiten der subjektiven Universen hergestellt werden. Die Welten näherten sich einander an, bis alle bewußten Lebewesen scheinbar in einer gemeinsamen Welt lebten. Auf diese Weise entstand die objektive Welt. Ich mußte mich mit der Vorstellung vertraut machen, daß sich die Welt da draußen nicht etwa im Sehzentrum meines Hinterkopfes abbildet und von meinem Bewußtsein irgendwie betrachtet wird, sondern daß die Welt da draußen bereits jene Abbildung ist. Mein wahrer Denkapparat ist alokal: unendlich groß und klein zugleich und atemporal – ewig, und die Welt findet in ihm (mir) statt. Tod gilt nur für meine körperliche Erscheinung, nicht für meinen Geist…
- Teil: Der Wissenschaftsmythos
Die Welt ist – lt. Niklas Luhmann und auch meiner Ansicht nach – operational geschlossen, aber kognitiv offen. Dies machen sich die o.g. „Sachverständigen für Weltordnung“ zunutze. Sie müssen Sorge dafür tragen, daß meine hier geäußerten wissenschaftstheoretischen Überlegungen keine Verbreitung finden: daß Träume weiterhin ins Unbewußte abgeschoben werden, daß Raum und Zeit nicht hinterfragt werden, daß Bewußtsein stets im Gehirn (und nicht umgekehrt: Gehirn im Bewußtsein) gesucht wird, daß der Mensch berechenbar gemacht wird, indem man ihn zum „homo ökonomicus“ züchtet. Freilich sind in Philosophie und Wissenschaft dazu einige Fälschungen nötig:
Beim Wellen/Teilchen-Dualismus muß die Atemporalität und Alokalität des Wellenaspektes geleugnet werden. Dazu half die „Erklärung“, daß Wellen sich in Raum und Zeit etwa wie Wasserwellen im Teich ausbreiten – obgleich genau das Wellen nicht tun! Es ist schier unglaublich, mit welch energischer Ignoranz sich selbst gescheiteste Physiker über diese besseren Einsichten hinwegsetzen – aus Angst, ihren Job zu verlieren, wie ich herausfand. Dabei ist es ganz einfach: Wellenartig ist das Licht dann, wenn ich nicht hinschaue; Teilchen ist es, wenn ich hinschaue. Beim Doppelspaltexperiment habe ich den Detektor hinter dem Doppelspalt. Darum ist das Licht am Doppelspalt Welle und kann beide Spalten gleichzeitig passieren und kann sogar dabei der Kausalität spotten, indem das Licht rückwirkend seinen Weg ändern kann. Erst im Detektor wird das Photon zum Teilchen. Das funktioniert natürlich nur bei Atemporalität und Alokalität des Wellenaspektes: Ein Photon als Welle ist überall und nirgendwo; es ist der Lichtgeschwindigkeitsbegrenzung nicht unterworfen; das ist es ausschließlich in unserem um Raum und Zeit reduzierten (Teilchen-) Modell.
Die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit, die sich daraus ergibt, dass das Licht immer zum Subjekt konstant schnell ist, beweist, dass die physikalischen Strukturen NICHT identisch mit den geistigen sind, wie manche Philosophen behaupten. Die Spiritualisten reden NICHT mit unterschiedlichem Vokabular über dasselbe, wie die Physiker. Bestenfalls die Strukturen, in denen die sog. „virtuellen Teilchen“ auftauchen, könnten evtl. als Übergang der geistigen Welt in die physikalische betrachtet werden.
- Bei der Hirnforschung darf zwar erkannt werden, daß alle Objekte der Außenwelt in unserer Wahrnehmung Konstrukte einer neuronalen Datenverarbeitung sind, aber das Objekt „Gehirn“ darf nicht mit in das Kalkül einbezogen werden. Antwort aller Experten, die ich fragte: „Das bringt nichts!“
- Bei der Suche nach wissenschaftlichen Erklärungen wird stets auf der Erscheinungsebene geblieben. Damit wird das Hinterfragen von Raum und Zeit umgangen. Man fragt: „Welche Erscheinung war vor dieser Erscheinung?“ und hält jene für Erklärung dieser. Der Versuch, Erklärungen für Phänomene der Makroebene in der Mikroebene zu suchen, geht ebenfalls nicht weit genug. Auch er verläßt die Erscheinungswelt nicht. Man ist nicht bereit, die Ursache von Erscheinungen in dem zu suchen, was Erscheinungen generell verursacht.
Wenn in einem Spielfilm ein Lichtstrahl auf eine Mauer fällt, sucht man die Ursache in der Filmebene und wird zB die Sonne als Erklärung heranziehen; in Wirklichkeit ist die Ursache jedoch der Filmprojektor.
- Bei der Handhabung der Quantentheorie wird immer wieder die Wechselwirkung mit dem Experimentator aus der Aufmerksamkeit ausgeblendet. Man eliminierte den Beobachter durch Einführung der sog. „Unschärferelation“ – eine geniale Fälschung, zu der ich ihre Erfinder nachträglich gratulieren möchte.
- Energie ist in der physikalischen Welt immer nur Energiedifferenz. Das sollte eigentlich stutzig machen und den Wissenschaftler dahin führen, wo die wirkliche Energie ist. Warum fragen sich die betreffenden Damen und Herren nicht, wieso in unserem Kosmos keine wirkliche Energie zu finden ist? Warum in unserem Kosmos nirgendwo Bewußtsein zu finden ist? Und wie beides zusammenhängt?
- Es ist schier unglaublich, wie zählebig die Urknalltheorie ist. Obwohl Einstein nachgewiesen hat, daß Raum und Zeit gleichzeitig mit der Materie entstanden sein müssen, woraus folgt, daß es keine Expansion im Raum gibt, wird an der Theorie festgehalten – nicht zuletzt aus dem Grund, daß sie eine sehr schöne Grundlage für die ebenso falsche Evolutionstheorie abgibt. Der Raum selbst kann nicht expandieren: Er ist sein eigener Maßstab. Wohinein sollte er denn expandieren? Solchen Fragen weigert sich die Wissenschaft nachzugehen („Das bringt nichts!“). Man will mit aller Anstrengung teleologische Theorien, die einen Schöpfergott wieder denkbar, ja sogar wahrscheinlich machen, vermeiden: Also muß alles durch ausdifferenzierende blinde Selbstorganisation (ohne Selbst!) entstanden sein. Man will die Erkenntnis verhindern, daß ein bewußter Wille hinter der Weltentstehung steht.
Diese Tabus – ich könnte Dutzende weitere aufzählen – sind nicht gesellschaftlich bedingt. Es gibt die von Berger und Luckmann postulierten Wächter über die Wirklichkeit: Menschen höchster Bewußtheit! Täglich erzählen sie uns via ihrer Medien wie Schulen, Universitäten, Zeitungen und Fernsehen ihre Mythologie.
Die kognitive Offenheit läßt Eingriffe in die operational physikalisch geschlossene Welt zu. Aus diesem Grund bleibt das Wirken der Weltschöpfer verborgen. Es kann empirisch nicht erforscht werden, nur kognitiv erkannt. Wer sich an die wissenschaftliche Methode hält, kann das Tun der „Wirklichkeitsbestimmer“ nicht entdecken. Wer hinter jeder Aktion stets blinde Naturkräfte sieht – wie könnte er jemals Bewußtsein und Wille entdecken?
- Teil: Schluß
Im Verlauf des Seminars, in dessen Rahmen ich die Bekanntschaft mit der Theorie von Berger/Luckmann machen durfte, bekam ich den Eindruck, daß die Reichweite der von den Autoren postulierten Konstruktion der Welt sehr begrenzt gesehen wird, nämlich allein auf unsere Kulturwelt, unsere Gesellschaft und nicht etwa bis in unsere dingliche, physikalische Welt hineinreichend. Berger und Luckmann glauben an mehr, als eine „Symbolische Konstruktion der Gesellschaft“ (wie der Titel meines Referats lautete), nämlich an eine „gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit“! Allerdings hatte ich hier den Eindruck, daß die Autoren unter ‘Wirklichkeit’ nur ‘Wirklichkeitsauffassung’, also Interpretation einer dahinterstehenden realen physikalischen Welt, verstehen. Ich füge diesem nun hinzu, daß die Gesellschaft die Wirklichkeit nur nach Bestimmung durch Weltkreatoren konstruiert und zwar bis in die unterste Ebene des Physikalischen hinab. Die Konstruktion der Wirklichkeit durch die Kreatoren macht nicht halt vor der Physik – wie ich oben zeigte.
Meine Ausführungen über Raum und Zeit, sowie über die Fälschungen in der Wissenschaft, zeigen, daß der Wissenschaftsbetrieb gezielt gelenkt wird: Ein materialistisches Weltbild wird kreiert, und der Ursprung der Welt soll in blinden Naturgesetzen, statt im Willen von Kreatoren, gesucht werden. Der Mensch soll sich als determinierte Konsequenz eines Automatismus begreifen, nicht als Geschöpf eines fremden oder gar eigenen Willens. Er soll an eine gegebene Welt glauben und nichts von der Möglichkeit, Welten zu kreieren, wissen. Das macht ihn berechenbar und der Macht der Kreatoren gefügig. Nicht nur die Gesellschaft, nicht nur die Vorstellung von Welt, sondern die Welt als Ganzes ist ein Konstrukt menschlichen Geistes.
- Teil: Kritik
Es ist an meiner Theorie folgender Einwand vorgebracht worden:
„… Allerdings sehe ich bspw. als problematisch an, wie die einzelnen Ebenen der Konstruktion zu verbinden sind. So ergibt sich die von Ihnen kritisierte Konstruktion der Kausalität unter der Perspektive einer virtuellen Zeitabfolge unter anderem daraus, daß hier zwei Ebenen der Konstruktion – nämlich die zeitliche sowie die sprachliche – in „Konkurrenz“ zueinander treten. In diesem Sinne teile ich auch nicht Ihre Auffassung, daß es quasi manipulierende „Hüter der offiziellen Wirklichkeitsbestimmung“ gibt, sondern sehe vielmehr die Hilflosigkeit, diese unterschiedlichen Perspektiven miteinander zeitgleich zu verbinden.
Darüber hinaus wäre kritisch zu hinterfragen, inwieweit nur von einer Annäherung von „Innenwelten“ ausgegangen werden kann. Dies mag in Hinblick auf die reine Objektwelt vielleicht noch nachvollziehbar sein, soziale Welt aber zeichnet sich gerade durch die Gleichzeitigkeit von Verinnerlichung und Entäußerung sowie von „Produktion“ und „Produkt sein“ aus. Gerade der Blickwinkel, von Ihnen für die Perspektive der Zeit, des Raumes sowie des Bewußtseins eingefordert wird, ist bei genauem Hinsehen das Problem der sozialen Lebenswelt und konkurriert gleichzeitig mit jener.“
Nach meinem Verständnis läuft die Kritik darauf hinaus, daß ich (im Sinne Bergers und Luckmanns) einerseits die Konstruktion als dialektischen Prozeß zwischen Menschen und Gesellschaft sehe, wobei alle einzelnen Menschen die Gesellschaft produzieren und gleichzeitig von ihr produziert werden, – was einen homöostatischen Regelkreis in Raum und Zeit darstellt – und andererseits als gesellschaftliche Konstruktion von Raum und Zeit selbst, welche nicht demselben Regelkreis unterworfen sein kann.
Hier liegt eine scheinbare (!) Paradoxie vor, dessen Auflösung meiner Überzeugung nach in obigen Ausführungen zum Thema „Zeit“ und „Raum“ sowie in Punkt 3 bei „Wissenschaftsmythos“ liegt. Ausgehend von den Ergebnissen der Hirnforschung, daß die wahrgenommenen Objekte Konstrukte des Gehirns seien und meiner Weiterführung dieses Gedankens durch die Erkenntnis, daß auch das Gehirn Objekt und damit Konstrukt sei – Konstrukt eines außerhalb von Raum und Zeit „existierenden“ Geistes, habe ich argumentiert, daß wissenschaftliche Modelle der Raum/Zeit-Konstruktion nachgeordnet sind mit der Konsequenz, daß Raum/Zeit-Theorien selbst außerwissenschaftlich (nämlich philosophisch!) sind. Aus diesem Grund konkurrieren die beiden „Ebenen der Konstruktion“ nicht! Primär ist die Ebene der außerwissenschaftlichen Mythenbildung, in welche die „Kreatoren“ willentlich eingreifen. Erst auf dieser Basis ist das sekundäre System mit ihrem Person/Gesellschaft-Wechselwirkungssystem installiert, in welchem der gesellschaftliche Mythos wie oben beschrieben in einem dialektischen Prozeß zwar ständig umgewandelt, dabei jedoch von den Kreatoren immer wieder neu befruchtet und gesteuert wird.
Die Existenz der Kreatoren bleibt aus folgendem Grund in der Regel unentdeckt: Sie treffen entsprechend ihrer geheimen „Zukunftsvisionen“ oder “ – Mythen“ ihre Willensentscheidungen. Dann binden sie diese Entscheidungen in die wissenschaftlich erforschbare Welt der kausalen Vernunft ein, indem sie ihren Willen mit einem Kleid der Vernunft ummanteln. Aus einem „Ich will…!“ wird ein „Ich will, weil…!“ Mit diesem „Weil“ ist der Übergang von der außerwissenschaftlichen Welt, in welcher die Kreatoren leben, zur wissenschaftlichen Welt der Vernunftmenschen (Funktionäre) hergestellt. Dieses „Weil“ wird letztendlich zu dem, was Historiker erforschen und zu einem Geschichtsbild zusammensetzen können. Der Wollende kommt in der Welt der Wissenschaft aufgrund ihrer Methode, als Erklärung nur determinierte funktionale Prozesse anerkennen zu können, ausschließlich als Funktionär – also nicht – vor. Das „Weil“ zerstört den freien Willen!
Ein Beispiel soll das Verhältnis der beiden Ebenen zueinander verdeutlichen: Ich entscheide mich willentlich, eine Kaffeetasse hochzuheben. Das geschlossene physikalisch/wissenschaftliche Modell bietet eine „Erklärung“ für diesen Vorgang. Die Erklärung lautet, daß jener Vorgang determiniert von strikten Naturgesetzen ablaufe. Meinen Willen zur Tat erklärt die Wissenschaft mit determinierten Prozessen. Damit leugnet sie den Willen: „Wille“ wird wissenschaftlich zB mit der Wechselwirkung zwischen Zufall und Notwendigkeit weg-„erklärt“. Wieder sucht man nach blinden Prozessen, die kausal sehendem Bewußtsein zugrundeliegen sollen!
Das hat fatale Folgen. Der Wille, als wissenschaftliche Erklärung des menschlichen Wesens ausschließlich mechanistische Prozesse gelten zu lassen, erzeugt den mechanischen Menschen (s. Berger/Luckmann S. 71, bzw. S. 2 dieser Arbeit). Dieser setzt sich dann in Konkurrenz zu Maschinen, zB mit Computern und Robotern, den er langfristig verlieren wird, da die Welt der Mechanik nun mal Maschinen gegenüber Lebewesen bevorzugt. Langfristig betreibt der Mensch, indem er sich funktionalisiert, seine eigene Ausrottung.
- Teil: Drei Philosophien
Meiner Auffassung nach gibt es drei grundverschiedene Philosophien: Eine Philosophie der Vernunft, eine Philosophie des Willens und eine Philosophie des Zufalls. Die Philosophie der Vernunft kennen wir am besten. Sie ist deterministisch und logisch. Sie ist das Lieblingsspielzeug der Wissenschaft. Nun ist dieser Wissenschaft in Unkenntnis ihrer eigenen Spielregeln bei der Erfindung der Quantenmechanik ein folgenschwerer Irrtum unterlaufen: Sie nahm den Zufall in ihr deterministisches System hinein, ohne ihn exakt von den determinierten Naturgesetzen abgrenzen zu können. Heute kann sich kein Wissenschaftler mehr sicher sein, daß an irgendeiner Stelle einer von ihm abgegebenen deterministischen Prozeßerklärung nicht der Zufall dazwischenzwängt. Der Zufall zerstört genaugenommen jede Erklärung – er zerstört die Wissenschaft und die Intelligenz des Wissenschaftlers. Aus diesem Grund habe ich mich für die Philosophie des Willens entschieden: So bin ich in der Lage, deterministische Systeme zu kreieren, ohne determiniert zu sein. Der Wille ist nicht determiniert und nicht dem Zufall unterworfen. Willentlich kann ich Ziele und Werte definieren; mit der Vernunft (dem Intellekt) kann ich Mittel und Wege ausfindig machen.
Da ich die Wissenschaft kenne und die Philosophie des Willens praktiziere, kann ich erkennen, daß es andere Menschen gibt, die diese Philosophie leben und die Wissenschaft benutzen, um ihre Ziele (Mythen) durchzusetzen. Ausschließlich wissenschaftlich denkende Menschen sind ziellos und deshalb von Willensmenschen leicht steuerbar. Für sie gilt uneingeschränkt der volkstümliche Satz: „Wes Brot ich eß, des Lied ich sing!“ oder der Marx“sche Satz: „Das Sein bestimmt das Bewußtsein!“
Fremder Wille steuert mit ökonomischen Mitteln die Entfaltung des deterministischen wissenschaftlichen Systems. Die Wissenschaft stellte ihre Grundlagenforschung zugunsten einer „Theorie der Technik (der Beherrschung der Natur und des Menschen)“ ein. Sie dient nicht der Aufklärung oder der Freiheit des Menschen, sondern der Stabilisierung der bestehenden Machthierarchie mit den Kreatoren an der Spitze.
Wille = Notwendigkeit (Gesetz) + Zufall
Lieber Leser: Was war dir die Lektüre dieser Seite wert? Bitte hier klicken –> (X)
Zurück zur Index – Seite