Hans-Joachim Heyer

Sloterdijk und Jane Roberts

Sloterdijks Schaum-Philosophie und Jane Roberts in Trance gechanneltes Buch „Gespräche mit Seth“ ergänzen sich komplementär sehr gut. P.Sl. entspiritualisiert die Welt; Roberts macht das Gegenteil. P.Sl. sieht für die Intellektuellen eine Beendigung der Hingabe, da die Verdinglichung (Explikation) des Latenten immer weniger Latentes, dem man sich hingeben könnte, übriglässt. Roberts gewinnt ihre Informationen durch Trance: sie gibt ihren Intellekt einem Geistwesen hin.

Man könnte freilich auch – mit den Worten Sloterdijks – sagen, Jane Roberts expliziere das Geistwesen Seth aus dem latenten Weltgeist. P.S. würde jedoch vermutlich in Abrede stellen, dass Seth ein von Roberts unabhängiges Wesen sei. Er würde allein die These akzeptieren, dass Seth ein von Roberts abgespaltener Bewusstseinssplitter, ein schizophrenes Produkt, sei. Dieses dürfte dann allerdings die Intelligenz von Roberts nicht übertreffen.

Es gibt jedoch auch eine wichtige Gemeinsamkeit beider Autoren: Beide, Sloterdijk und Roberts, bzw. Seth, beschreiben die Wirklichkeit hinter der materiellen Realität sehr ähnlich. Die Realität ist ja für beide identisch. Für beide ist die Erde ein Steinkugel; beide könnten sich in einem Café treffen und bei einer Tasse Kaffee miteinander plaudern.

Unterschiede gibt es in der Wirklichkeit hinsichtlich der Grundsubstanzen ebendieser: Sloterdijk vermutet (!?) etwas Latentes, das physikalisch zwar vorhanden, aber für den Wahrnehmungs- und Erkenntnisapparat des Menschen noch unsichtbar ist. Das Latente wirkt zwar in die Menschenwelt, jedoch unsichtbar und unbegreifbar. Erst wenn das Latente in die Wahrnehmung, also in die Menschenwelt gehoben ist, kann es zum Beispiel technisch angewendet werden.

Beispiel Düngemittel: Selbstverständlich stand schon immer fest, dass Pflanzen bestimmte Substanzen für ihr Wachstum brauchen. Man gab ihnen Erdboden und eine Schippe Mist. Dann kamen jedoch Chemiker, die exakt erforschten, welche Substanzen die Pflanzen brauchen und in welchen Bergwerken man diese Substanzen abbauen und chemisch anpassen kann. Es wurde eine Industrie der Düngerproduktion entwickelt. Düngemittel und Fabriken waren vorher nicht vorhanden; sie wurden materiell gewissen Ideen nachgebaut. Dieser Vorgang heißt „Explikation“. Als es die Fabriken noch nicht gab, lagen sie latent als Möglichkeit vor. Das Wort „Geist“ kommt in all diesen Erklärungen nicht vor.

Roberts Erklärung lautet, dass das rationale Ego nur die Oberfläche ihres zum großen Teil unbewussten Geistseele ist. Unter der rationalen Oberfläche befinden sich „Einheiten“, welche das Ego und das rationale Denken generieren. Sie sind intelligenter, als das Ego. Das Ego ist durch Fremderziehung wie Indoktrination, Denkverbote, Desinformation und Propaganda derart entstellt, dass es die „eigentliche“ Intelligenz des Inneren nicht nach oben ins Tagesbewusstsein durchlassen kann. Ergo muss das Ego mittels Trance schlafengelegt werden. Dann können die tieferen Schichten an die Oberfläche kommen und die Sprachroutinen, die sonst das Ego kontrolliert, übernehmen. (Hier habe ich Seths Aussagen mit meiner Philosophie ergänzt.)

Roberts unterscheidet eine leichte Trance von einer tiefen Trance. Während der leichten Trance schläft das Ego nicht – Robert nimmt die Umgebung wahr, aber sie ist konzentriert auf ihre Intuition und kann auf diese Weise ihre eigenen Bücher schreiben.  Sie schreibt also ihre eigenen Bücher mit ihrem „Höheren Selbst“.

In der tiefen Trance kommt eine noch intelligentere Wesenheit zum Zuge: Seth, ein männliches Geistwesen, das kein Teil von Roberts ist. Dieses Geistwesen kann sich jedoch der Sprachroutinen in Roberts Gehirn bedienen.

Soweit die Unterschiede. Gemeinsam haben beide Autoren – Sloterdijk und Seth (nicht Roberts) –  eine konstruktivistische autopoietische Basisphilosophie. Die Substrate dieser Basisphilosophie sind zwar unterschiedlich – einmal materiell, einmal geistig – aber ihre Arbeits- oder Wirkungsweisen sind mehr oder weniger gleich.

Beide sehen individuelle Bewusstseine in einem multidimensionalen „Meer der Möglichkeiten“ herumschwimmen, innere Stabilität suchend und vorsichtige Kontakte zur Umwelt erprobend, um Bedingungen des Wachstums zu erforschen. Die reale Umgebung ist unsichtbar; sie wird nur an den unmittelbaren Kontaktstellen sichtbar und gibt nur wenig von seinen Geheimnissen preis. Alles ist mit allem unglaublich verschachtelt und auf- und ineinander wirkend, alles sind Wirbel in Wirbeln, in denen Myriaden Bewusstseins mit empfindlichen Membranen nach außen hin versehen aufeinander wirken. Nur wenigen Wesen gelingt der Aufbau einer stabilisierenden Dynamik, ein „Immunsystem“, das einem Wesen Dauer geben kann.

P.S. meint – s. S. 218 f – es gebe ein Drittes nebst Idealismus und Realismus. Er nennt es „Vorschlag“. Der Idealismus (Spiritualismus) behauptet, erst die Beobachtung bringe ein „Ding“ in die Realität. Vor der Beobachtung habe es dieses Ding nicht gegeben und habe auch keinerlei Wirkung in die Welt gehabt. Die Dinge werden erst durch die Beobachtung geschaffen.

Der Realismus (Materialismus) hingegen gehe davon aus, dass das Ding bereits vor der Beobachtung, bzw. Entdeckung, vollständig und unabhängig existierte; es werde bloß eine verbergende Decke von ihm abgezogen, sodass das Ding sichtbar wird.

Der Idealismus behauptet also, dass die Dinge vor der Beobachtung gar nicht existieren, und der Realismus behauptet, dass sie vor der Beobachtung vollständig existierten. Die dritte Position, die in der Mitte* beider obengenannten liegt, erklärt Sloterdijk, indem er auf die Forschungen von des Wissenschaftstheoretikers Bruno Latour und des Philosophen Martin Heidegger zurückgreift, folgendermaßen:

Das „Ding“ war vor der Beobachtung, bzw. Entdeckung, eingefaltet oder eingewickelt und wird beim Beobachten, je nach Schärfe des Intellektes, mehr oder weniger entfaltet, bzw. entwickelt, und erst dadurch gewinnt das Ding seine spezifischen Eigenschaften.  Hätte ein anderer Beobachter das „Ding“ anders gesehen, wäre es in seiner Erscheinung in der Menschenwelt auch anders entfaltet, also ein Ding mit anderen Eigenschaften. Es komme auf den Vorschlag an, den der Forscher, was seine Erklärung anlangt, gemacht habe. Ich denke, Sloterdijk Erklärungsversuch hier klarer dargestellt zu haben, als er selber es vermochte. Sloterdijk meint weiter, dass sich die Natur in einer Art Dialog mit den Menschen befinde und sich aktiv (!) dem forschenden Menschen mehr oder weniger zu erkennen gebe. Allerdings werde dieser Dialog immer mehr erschwert, weil allzu viel mit wissenschafts-technischer Gewalt ans Tageslicht gezwungen wird. (Im wiss. Experiment wird der Natur Gewalt angetan.)

Soweit ich P.Sl. richtig verstehe, meint er mit dem (Heideggerschen)  „Entbergen“ im Prozess des „Vorschlagens“ die Tatsache, dass kein Ding von Anfang an als Ganzes erforscht oder entdeckt wird, sondern nur stückweise, und dadurch mit einem Fortschreiten der Eigenschaften des Dinges. So ist es beispielsweise möglich, dass ein Virus anfangs als gefährlich erkannt wird und bei weiterer Forschung als hilfreich in anderer Sache. Diese Hilfe kann es uns jedoch nur dann gewähren, wenn wir dieses Hilfsangebot annehmen.

Zitat (S.220 u. 221): „Die neu entdeckten und erfundenen Dinge sind Artikuliertheiten inmitten von Artikuliertheiten vor einem Hintergrund aus Vorschlägen – Entfaltungen in einer Landschaft aus Entfaltungen vor einem Panorama von Falten.“

Das kommt Seths Beschreibungen seiner multidimensionalen Lebenswelt nahe, in welcher die Umgebungen eines Wesens gleichsam zum eigenen Leib noch dazugehören und beides je nach Lust und Laune des Wesens umgestaltet werden. Die Materie jeder dieser Augenblicksformen gibt unmittelbaren Ausdruck von Gedanken, Gefühlen und philosophischen Systemen, wobei komplizierend hinzukommt, dass das Wesen ja nicht alleine ist, und dass alle anderen Wesen in der informellen Umgebung auch noch mitgestalterisch tätig sind, was als Kommunikation verstanden wird.

An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass derartige philosophische Untersuchungen nicht unwichtig sind für jene, die aufwachen wollen, um ihren eigenen Geist so zu trainieren, dass er fähig wird, bewusst – magisch – auf die Materie einzuwirken nach dem Jesuanischen Spruch „Der Glaube kann Berge versetzen!“

Ich würde Herrn Sloterdijk gern folgende Frage stellen:  In einem Interview wurde er gefragt, wie lange er an seinen so komplizierten Schachtelsätzen herumfeilen müsse, ehe sie „sitzen“. Er antwortete, dass sie spontan herauspurzeln. Ich frage, wo diese Sätze zusammengebastelt werden, ehe sie ihm ins Tagesbewusstsein purzeln? Auch er muss doch davon ausgehen, dass er in einer tieferen Schicht eine Instanz birgt, die dem Ego zuarbeitet. Könnte er diese Tiefenschicht nicht – wie Jane Roberts es tut – einem „Höheres Selbst“ oder gar einer Mittlerin zu einem externen Geistwesen zurechnen?

*Sein „Drittes“ zwischen Idealismus und Realismus ist nicht einfach ein Kompromiss, sondern eine dynamische Entfaltungsperspektive.

in Arbeit