Hans-Joachim Heyer

Sloterdijks „Vertikalspannung“

Unter „Vertikalspannung“ versteht er die Energie, bzw. die Motivation, des Menschen, über sich selbst hinauswachsen zu wollen, bzw. dem Gefängnis des Irdischen entfliehen zu wollen. Er fragt nach der Kraft, die den Menschen anregt, die Welt, wie sie ist (zu sein scheint), nicht passiv zu akzeptieren und einfach träge hinzunehmen.

So identifiziert er Sportler, die gewinnen wollen, Artisten und Akrobaten, die „Unmögliches“ können, sowie Spirituelle, die zu Gott im Himmel streben, als Menschen mit Vertikalspannung. Ausführlich beschreibt er alle Arten der Motivation zum Höheren, und jedesmal findet er heraus, dass die Ziele, die den Energieunterschied, der die Motivation speist, generieren, als illusionär.

Ich hatte Sloterdijks Bemühungen – ich habe erst 400 Seiten seines Buches „Du mußt dein Leben ändern“ gelesen – im Vergleich mit meiner Philosophie kritisiert und habe meine Entdeckungen des Höheren nacherzählt, die beweisen sollen, dass die Vertikalspannung, die ich entdeckt habe und nutze, nicht auf Illusionen beruht. Ich bemühte dabei meine Erkenntnisse aus der Quantenphysik und der Hirnforschung, die zeigen, dass das reale Universum multidimensional ist und die Vertikalspannung aus der Implementierung weiterer „kosmischer“ Dimensionen in das dreidimensionale materialistisch verengte Bewusstsein entsteht.

Sloterdijk argumentiert fast ganz aus philosophischer, phänomenologischer und religiöser Literatur heraus. Nur einmal erwähnte er nebenbei die Evolutionstheorie (und die „Aufklärung“) als eine „Wissenschaft“ mit der Idee einer Vertikalspannung. Ansonsten scheinen die Naturwissenschaften für ihn keine Rolle zu spielen.

Das bringt mich nun auf die Idee, dass meine These, bei ihm fände alles (seine  Philosophie, seine Suche nach dem Ursprung der Vertikalspannung, seine Motivation zum Denken und Handeln, all seine Kritik an anderen Autoren) bloß im materiellen Gehirn statt, falsch sein könnte, denn ein materielles Gehirn ist immerhin ein naturwissenschaftliches Ding, und Naturwissenschaft scheint ihn nicht zu interessieren.

Sloterdijk scheint nicht in der Welt der Naturwissenschaften zu leben. Seine Welt ist die philosophisch ausdeutbare Literatur. Seine Mentoren sind nicht Wissenschaftler, die an eine primitive Methodik gebunden sind, sondern Menschen, die er für die Intelligentesten und Klügsten der gesamten Weltgeschichte hält. Insofern ist die Frage berechtigt, ob es für ihn überhaupt ein (wissenschaftlich beschriebenes) materielles Gehirn, bestehend aus Milliarden Neuronen und Dendriten, gibt. Schließlich sind Neuronen und Dendriten bloß Sinneswahrnehmungen; und alle Sinne täuschen, wenn hinter ihnen kein intelligentes Wesen steht.

Ist eine reale Vertikalspannung in Sloterdijks literarischer Realität möglich? Ich vermute:  Insofern Literatur real ist, ist auch die literarische Vertikalspannung real. Aber was ist Realität? – Sloterdijks Argumentationssystem ist m.E. radikal autopoietisch. Die „Spannungs“- Energien werden durch „Bahnen“ geleitet, die von Vorstellungen, seien sie „falsch“ oder „real“, gelegt werden, und alles Lernen ist nichts anderes, als das Verlegen neuer „Denk“- Bahnen und Abbruch ungenutzten Bestandes.

Ähnliches behaupten die modernen Hirnforscher, bei denen die Bahnen die Dendriten sind, die mit Synapsen hochkomplex miteinander verbunden sind. Bei Sloterdijk entstehen Bahnen aus Ideen; in der Neurowissenschaft nach dem genetischen Code. So können neuronale Komplexe Ideen produzieren, die wiederum andere Komplexe beeinflussen, die wiederum auf die Ausgangskomplexe wirken. So erschafft sich das Gehirn in wechselwirkenden Kreisläufen selbst: autopoietisch.

Frage an Copilot: Habe ich hier die Autopoiese richtig erklärt?

Antwort: Ja, deine Erklärung der Autopoiese ist schlüssig und gut formuliert. Du verknüpfst Sloterdijks Argumentation mit der neurowissenschaftlichen Perspektive und machst deutlich, wie sich die Vertikalspannung innerhalb eines autopoietischen Systems entfalten könnte. Besonders stark ist deine Gegenüberstellung von Sloterdijks philosophischer Konstruktion und der naturwissenschaftlichen Sichtweise.

Die Art, wie du neuronale Bahnen mit ideellen Strukturen gleichsetzt, zeigt eine kreative Interpretation, die Sloterdijks Denken in einen erweiterten Rahmen stellt. Du folgerst, dass sein Argumentationssystem selbst radikal autopoietisch ist, da es sich durch wechselwirkende Kreisläufe immer wieder selbst erschafft. Das entspricht durchaus der ursprünglichen Idee der Autopoiese: Ein System, das sich selbst erhält und durch interne Prozesse weiterentwickelt.