Hans-Joachim Heyer

Wissenschaftsverständnis im 20. Jahrhundert

Thema: Kritische Einschätzung des Wissenschaftsbegriffs –
Hier: Wissenschaft im Bannkreis der Ökonomie

1. Aufgabenstellung

Ich möchte in dieser Arbeit zu klären versuchen, ob die gegenwärtige Naturwissenschaft sich ausschließlich „aus sich selbst heraus“ – also nach ihren „eigenen Regeln und Methoden“ entwickelt oder ob sie Einflüssen unterliegt, die unwissenschaftlich sind und gleichzeitig ökonomischem Denken entstammen.

2. Verdinglichung der Welt

Ich möchte meine Untersuchung mit eher allgemeinen Fragestellungen beginnen. In diesem Kapitel soll geklärt werden, ob meine These, daß Wissenschaft und Ökonomie gleicherweise eine „Verdinglichung der Welt“ mit dem Ziel des gegenseitigen Nutzens betreiben, richtig ist. Konkret lautet die Frage: Sind die wissenschaftlichen Methoden der Erkenntnisgewinnung auf die Bedürfnisse einer profitheischenden Ökonomie abgestellt oder wäre es möglich, daß die Wissenschaft zu Ergebnissen kommt, die der Ökonomie ein Dorn im Auge sein könnte?

2a. Verdinglichung durch Empirie

Nach der empirischen Methode behandele ich andere Menschen und mich selbst als Objekt: Ich sehe mich selbst so, wie andere mich sehen würden. Ich sehe, wie andere Menschen geboren werden und sterben und beziehe dieses empirische Wissen auf mich, obwohl klar sein sollte, daß ich meine eigene Geburt und meinen Tod subjektiv nicht wahrnehmen kann. Der Unterschied, daß ich für mich Subjekt und die anderen Menschen Objekt sind, geht verloren. Die Unterschlagung der subjektiven Sichtweise hat die empirische Wissenschaft zur Methode gemacht.

Die wissenschaftliche Methode zeichnet sich dadurch aus, daß nach ihr sich alles auf der Objektebene abspielt. Der subjektive Standpunkt wird nicht eingenommen.* Alles ist bei ihr Außenwelt; eine Innenwelt gibt es hier nicht. Aus diesem Grund gibt es im wissenschaftlichen System keine (offizielle systemimmanente) deduktive Methode der Erkenntnisgewinnung, nur die Induktive. Albert Einsteins Aussage: „Zuerst die Theorie, dann ihre Überprüfung im Experiment!“ zeigt zwar auf, daß er sich als Mensch der Deduktion bediente, allerdings nicht als Funktionsträger der wissenschaftlichen Methode.

Eine Theorie ist ein Wissen, das über das hinausgeht, was man aufgrund seiner Erfahrungen eigentlich haben dürfte. Sie greift stets über das empirische Weltmodell hinaus. Ihr Ursprung liegt außerhalb des Modells und der wissenschaftlichen Methode (im andern Fall hätte man bloß altes Wissen neu aufgewärmt). Daher ist sie transzendental – metaphysisch. Sie weist hin auf etwas Höheres, Komplexeres. Sie ist Ausdruck des Subjektiven. Nur Subjekte haben Theorien.

Heute gilt als modern die Aussage, die Wissenschaft unterscheide nicht mehr zwischen Subjekt und Objekt („Entmetaphysizierung“); es sei dem Wissenschaftler gleichsam egal; ob sich die Welt innen oder außen abspiele, ob sie Erscheinung oder Realität sei usw. Es zähle allein die Struktur und die Fruchtbarkeit.

Diesen Schritt zur Nichtbeachtung einer Unterscheidung zwischen Subjekt und Objekt erachte ich als Mathematisierung der Wissenschaft. Er ist sicher als Aufhebung der Verdinglichung der Welt begreifbar. Die  von mir angeprangerte Entfremdung des Menschen von sich selbst bleibt dadurch aber leider bestehen.

2b. Verdinglichung durch Isolation der Daten

Ein weiterer Ausdruck der Verdinglichung (Objektivation)  der Welt ist der (meist unbewußte) Glaube, Informationen seinen unabhängig von dem Kontext, in dem sie stehen. Im Tutorium der politikwissenschaftlichen Fakultät wird uns wissenschaftliches Arbeiten mit Büchern gelehrt. Zum Erarbeiten eines Themas für ein Referat oder Hausarbeit bedürfe es der Fähigkeit, in wenigen Tagen aus mehreren 600-Seiten-Büchern den relevanten Stoff zu finden. Man mache sich sachkundig und erledige dann seine Arbeit.

Mit dieser Methode wird erreicht, daß die Fakten zu  kontextfreien isolierten Entitäten werden, die zu neuen Konstrukten zusammengefügt werden können. Die Informationen (und daraus resultierend die Welt)  werden verdinglicht und ihres Sinnes und Zweckes  beraubt.

2c Verdinglichung durch Technik

Das Kriterium der Überprüfbarkeit bedingt eine Anwendung des Wissens auf die Materie, also Verdinglichung – Umsetzung in materielle Produkte und/oder Tätigkeiten mit Materie. Dies nennt man „Technologie“. Die Umsetzbarkeit von Wissen in Technik ist dessen einzige Verifikation. Da Wissenschaft ausschließlich „Wie?“- Fragen zu beantworten sucht und nicht „Warum?“- Fragen, kann gesagt werden, Wissenschaft sucht stets Anwendungen, keine Begründungen! Die Art der Fragestellung führt eindeutig zur Technik, denn diese ist Anwendung. Die zunehmende Umbenennung wissenschaftlicher Disziplinen in „Technologie“ entspricht der Kongruenz (Deckungsgleichheit) beider Systeme. Auch die Ökonomie ist eine Technik.

3. Ökonomie als Nutznießer der verdinglichten Welt

Die Wirtschaft behandelt ihre Ware und selbst das Geld als (isolierte) Dinge. Auch Dienstleistungen sind Dinge und werden als Gegenwert von  Gegenständen gehandelt. Ökonomische Werte richten sich nicht nach moralischen oder ethischen Werten, sondern nach ihrem Vergleichswert mit anderen Dingen.

Beide: Wissenschaft und Ökonomie tun – im doppelten Wortsinn – nur, was sich rechnet. Man stelle versuchsweise sich einmal vor, wie eine Wirtschaft aussehen müßte in einer Welt, in der nur „innere Werte“ zählen: Ein Ding der Unmöglichkeit.

3a.  Wissenschaft und Ökonomie als Zwangsysteme

Beide sind Zwangsysteme. Nach Bacon „offenbaren sich die Geheimnisse der Natur williger eher unter Belastung, als wenn sie ihre eigenen Wege gingen.“ (1) „Irritiere die Natur, bringe sie durcheinander, verändere sie, was auch immer – aber lasse sie nicht ungestört. … (Das Experiment ist eine) künstliche Situation, in der der Natur Geheimnisse entlockt werden, und zwar durch Nötigung. (2/28) Bacon nannte dies „natura vexata“, die erboste Natur.

Das Experiment – die gezielte Befragung der Natur – und  die Errichtung einer künstlichen Konstruktion aus den Antworten, Modell genannt, findet auch in der Technik statt. Hier werden der Natur gezielt Rohstoffe entzogen, aus denen dann künstliche Güter produziert werden, die wiederum eine künstliche Umwelt für den Menschen herstellen. In dieser Umwelt kann man sich zudem nur dann zurechtfinden, wenn man sein Denken derselben Nötigung unterzogen hat, wie man sie zuvor der Natur angedeihen gelassen hatte.

Das Zwanghafte an Wissenschaft und Technik/Ökonomie wäre also, daß man aus der ungeheuren Komplexität der Strukturen der Natur einige wenige Elemente herausgreift und aus ihnen wissenschaftliche Modelle, technische Geräte und den ökonomischen Güteraustausch aufbaut. Es werden künstliche reduziertze Systeme installiert, die der natürlichen Harmonie entrissen sind. Aufgrund ihrer Reduziertheit sind sie radiksal, aggressiv, instabil und der Kausalität unterworfen: zwanghaft! 

3b. Übereinstimmung im Glauben an die freie Verfügbarkeit der Natur

Die Ökonomie bedient sich derselben isolierenden Methode, wie Wissenschaft und Technik. Sie befragt die Natur ausschließlich nach dem Geldwert. Außerdem  kommt es ihr entgegen, daß – zumindest die klassische –  Wissenschaft die Natur für ‚im Prinzip tot‘ hält (Alles besteht aus toten Atomen. Ab welchem Organisationsgrad man Atomkonglomerate als ‚Leben‘ bezeichnet, ist – unwissenschaftliche –  Anschauungssache. Die Wissenschaft braucht nicht die metaphysische Spekulation von der Existenz von Lebendigem, um funktionieren zu können). Und eine tote Natur kann man dann ausbeuten und zerstören, ohne ein schlechtes Gewissen zu bekommen. Es wäre interessant zu untersuchen, ob Ökonomen aufgrund der unbezweifelbaren Nützlichkeit dieser Art von Wissenschaft konkurrierende Alternativen  bekämpft haben. 

Der Soziologe Georg Simmel vertrat die Meinung, daß die Geldwirtschaft „das Ideal der exakten numerischen Kalkulation schuf“ und daß die „mathematisch exakte Interpretation des Kosmos“ die „theoretische Ergänzung der Geldwirtschaft“ sei. (2/55)

3c. Darwinismus als Wirtschaftsprinzip

Die Evolutionstheorie *  hat ihr Pendant im Wirtschaftsleben: Arbeiter, Firmen, Konzerne, Staaten eignen sich neue Fähigkeiten an und messen sich im Konkurrenzkampf. Das Schwache wird ausselektiert. Die Arbeitslosen sind die Verlierer der Wirtschaftsevolution…

3d. Wirtschaftsorganismus

Das ökologische und das ökonomische System entspringen sicher derselben Denkhaltung. Man kann einen Staat als selbstregulierenden Organismus betrachten.

Bekannt ist der Vergleich etwa eines Blutkreislaufs mit dem Straßenverkehr. Die Regierung entspräche dem Gehirn, Die Industrie wäre vergleichbar mit dem Verdauungstrakt, in welchen körperfremde Rohstoffe in körpereigene Produkte umgewandelt werden. Man kann diesen Vergleich beinahe beliebig weiterführen; es gibt unzählige Parallelen, sodaß es sicher nicht falsch ist, einen Staat als Organismus zu betrachten.

Bleibt zu klären, welche Rolle das Geld in diesem Staatswesen spielt, und ob das Geld in der biologischen Natur eine Entsprechung findet.

Hier fällt mit zuerst eine Doppelbestimmung des Geldes auf: Einmal auffindbar im Begriff „Freihandel“ und einmal in dem der „Steuern“. Im Freihandel spiegelt sich der normale Stoffwechsel eines Organismus wider: Angebot und Nachfrage. Hier findet der Teil des Handel(n)s statt, der nach festen Regeln willenlos (vernünftig, frei von Emotionen) abläuft – vergleichbar dem unbewußten Stoffwechsel eines Lebewesens. In Gestalt von Steuern wird nun dem determinierten kreisläufigen Geschehen von der Regierung Geld entzogen und nach von ihr willentlich gesetzten Gesetzen wieder verteilt.

Das Staatswesen ist also in der Lage, sich selbst willentlich zu verändern – es unterliegt nicht einer blinden Evolution, wie es der Natur unterstellt wird. *

Der hohe Steuersatz unseres Staatswesens spiegelt also wider, daß der Steuerungsbedarf sehr hoch ist, was wiederum aufzeigt, daß die selbstregulierenden Mechanismen noch nicht gut funktionieren. Es ist noch nicht viel Intelligenz in Fleisch und Blut übergegangen: Der Staatskörper hat noch nicht viel gelernt.

Der hohe Grad an Übereinstimmung zwischen einem Staatswesen samt seiner Wissenschaft, Regierung und Ökonomie und einem biologischen Wesen, bzw einem Ökosystem verdeutlicht, daß es hier keine ideellen Unterschiede gibt. Man hat den Staat nach dem Muster entwickelt, das man von der Natur abgeschaut zu haben glaubte. Beides: Das Wissen um die Natur und das Wissen um die rechte Staatsführung – entsprechen dem gegenwärtigen Modell der Wissenschaft von der Wirklichkeit. Ökonomie und Wissenschaft stehen hier nicht im Widerspruch; sie sind beide Teil einunddesselben Paradigmensystems.

3e. Gewinn aus ungleicher Schadens-Nutzungsverteilung:

Das ökonomische Gesetz, daß Gewinn nur dann möglich ist, wenn man den Nutzen seiner Arbeit sich selbst und den dabei entstehenden Schaden der Allgemeinheit zukommen läßt, gilt auch für die Wissenschaft. Hier ist es nur etwas schwerer zu erkennen. Trotzdem gilt, daß die Wissenschaft bei ihrer Modellbildung dieselbe Methode anwendet. Die Differenz zwischen Modell und Wirklichkeit wird bzw bleibt unbewußt und richtet im kollektiven Unbewußten der betreffenden Gesellschaft allgemeinen Schaden an.  Beispiele: Bau der Atombombe, Kunstdung, der geklonte Mensch: Ethische Werte sind nicht Teil des wiss. Modells und führen zur Skrupellosigkeit und Verantwortungslosigkeit.

In der Wirtschaft: Was nicht ins  Wirtschaftsmodell paßt, wird dämonisiert und ins Unbewußte und/oder Gefängnisse abgeschoben, wo es der Allgemeinheit seelischen Schaden zufügt.  Die wahre Ursache der Wirtschaftskrise, sichtbar an der horrenden Staatsverschuldung und der Massenarbeitslosigkeit kann nur am falschen Wirtschafts- und damit Wissenschaftsmodell liegen. Irgendetwas wird gründlich falsch gemacht.

Hier die Stimmen einiger Autoren, die mir zur Diagnose der Problematik beigestanden haben:

Sloterdijk: „Keine Aufklärung geschieht ohne den Effekt, das Standpunktdenken zu zerstören und perspektivisch-konventionelle Moralen aufzulösen; psychologisch geht das mit Ich-Zerstreuung einher, literarisch und philosophisch mit dem Verfall der Kritik.“ (3/18)

Ostermeyer: „Das (wissenschaftlich) nicht Bewältigte scheidet durch Verdrängung aus verstehbarer Sprache aus und wird dem ICH entfremdet. … Dabei behält aber das Verdrängte seine dynamische Kraft und bleibt handlungswirksam, (aber) … bleibt unerkannt.“ (4/16)

Berman:  „Was weiß denn nun mein Herz? Es weiß, daß auf eine ganz besondere Weise alles aufeinander bezogen und lebendig ist, daß nichtkognitives Wissen, komme es nun aus aus Träumen, aus der Kunst, dem Körper, oder aus dem völligen Wahnsinn, in der Tat Wissen darstellt, daß Gesellschaften wie menschliche Wesen organischer Natur sind und der Versuch, beide zu verplanen, zerstörerisch ist, und schließlich, daß wir auf einem sterbenden Planeten leben und daß ohne eine radikale Änderung unserer Politik wie unseres Bewußtseins die Generation unserer Kinder wahrscheinlich Zeugen der letzten Tage dieses Planeten sein wird.“ (2/298)

Zusammenfassung: Die Differenz zwischen Modell und Wirklichkeit hat unerkannte Folgen, die aufgrund ihrer Nichtbeachtung sich irgendwann zu allgemeinem Schaden kumulieren.

4. Überprüfung der Interessenskonformität an einigen Beispielen:

Beispiel Medizin: Die Wissenschaft vom menschlichen Körper und dessen Störungen ist eng verknüpft mit den ökonomischen Interessen und Zwängen der Krankenhaus- und Pharmaindustrie und dem Krankenversicherungswesen, welches die Anwendung der medizinischen Wissenschaft auf den kranken Leib ökonomisch regelt.

Die Pflege- und Pharmaindustrie könnte man als Anschlag gegen die Evolution, bzw die Evolutionstheorie  werten, da sie die Selektion behindern. Hinzu kommt, daß Millionen von Arbeitsplätzen von diesen Industrien abhängen – Arbeitsplätze, die erhalten werden „müssen“ und für deren Erhalt die Ärzte- und Forscherschaft aus existenziellen Gründen kämpft – und infolgedessen kein Interesse an einer gesunden Bevölkerung haben kann. Das ökonomische Interesse an möglichst vielen belegten Krankenhausbetten und möglichst teuren Behandlungen steht offensichtlich (?) dem Interesse der Wissenschaft an der Bekämpfung von Krankheiten entgegen! Doch weit gefehlt! Eine exoterische Wissenschaft arbeitet prinzipiell an der Überflüssigmachung der Menschheit – ob es der Wissenschaftler als Mensch nun will oder nicht! Langfristig siegt die Methode über den Willen. Wissenschaft ist eine Entäußerung (Objektivation) des Menschen. Sie reduziert ihn zu einem Haufen toter Atome. Wissenschaft und Ökonomie widersprechen sich also durchaus nicht.

Es sei hier nochmal ausdrücklich betont, daß ich hier ausschließlich die Organisationsform des medizinischen Apparats meine, wenn ich behaupte, daß sie aus Selbsterhaltungsgründen kein Interesse an der Volksgesundheit hat. Der Mediziner als Mensch will sicher helfen und tut es auch (außer den ’schwarzen Schafen‘, die ’sachlicher‘ denken), aber das System zwingt ihn – besonders bei Konkurrenzdruck – zur Anpassung an dessen menschenfeindlicher Struktur.

Beispiel Energieforschung: Würden Forschungsprojekte wie zB das der Kernfusion (oder neuerdings die Windräder) zwecks Energiegewinnung Erfolg zeitigen, gäbe es sicher große Widerstände seitens der Ölindustrie. Auch hier gibt es nur einen Widerspruch zwischen Wissenschaft/Ökonomie und den Menschen, aber nicht zwischen Wissenschaft und Ökonomie. Die wissenschaftliche Forschung wird zunehmend teuer und nimmt großindustrielle Ausmaße an, die finanziert werden müssen. Die Folge technischer Innovationen muß gesteuert werden, um den Geldzufluß zu maximieren. Um eine Finanzierung kommt die Wissenschaft nicht herum.

Beispiel Agrarwirtschaft, Ozonlochforschung: Wissenschaftlich ist erwiesen, daß Kunstdung und chemische Insektenbekämpfung, Kloning, das Problem der Überbevölkeruing in die Zukunft verschieben und verschärfen. Doch die Ökonomie ist stärker, als bessere Einsicht. Wissenschaftliche Forschung wächst in ökonomisch vorgebebene Strukturen hinein.

Auch der CO2-Anstieg führt nicht zum Stopp von Emissionen, sondern zu weiterer Ausweitung der Forschung und der Technologien.

Beispiel Grundlagenforschung: Sicher gibt es Forschungen, an denen die Wirtschaft kein Interesse hat. Sie führen dann auch ein entsprechenden Mauerblümchendasein. In der Regel dürfte es aber so sein, daß sich Forschung und Wirtschaft einen zukünftigen Nutzen versprechen. Es ist schon oft vorgekommen, daß zweckfreie Forschung, die aus purer Neugier oder reinem Erkenntnisdrang geschah, später zur Nutzanwendung kam. Da jede Forschung ins Unbekannte geht, kann man den Gewinn davon oft nicht im Voraus kalkulieren. Aber die Tatsache, daß man Grundlagenforschung oft als „kreative Recource“ betrachtet, zeigt, daß auch hier gewinnorientiert gedacht wird.

5. Wissenschaft im Bann der Ökonomie – vom Mythos zur Methode – von der Alchemie zur Wissenschaft:

Ursprünglich waren religiöse Mythen für die Herausbildung von Paradigmensystemen bestimmend. Geschichten wurden erzählt, und der Glaube daran mußte Bild für Bild durchgesetzt werden.

Vor etwa 300 Jahren wurde hier eine geniale, aber auch gefährliche Vereinfachung eingeführt. Man legte sich auf die Überwachung der Einhaltung einer simplen Methode fest, nämlich der des rationalen Empirismus (Verschmelzung Bacons Empirismus mit Descartes Rationalismus zur „modernen wissenschaftlichen Methodik) (2/35ff). Nur diese Methode galt als wissenschaftlich; alles andere wurde diffamiert und verschwand mehr und mehr aus dem Bewußtsein der Menschen.

Die Frage nach dem „wie?“ löste die nach dem „warum?“ ab. Man fragte nicht mehr nach Gründen, sondern nach kausalen „Ursachen“ – also nach den Zuständen vor dem befragten Zustand. Das heißt, daß die Wissenschaft nichts  erklärt, sondern nur das Werden der Dinge beschreibt. Isaak Newton: „Daß ich die Schwerkraft nicht erklären kann, ist irrelevant!“ (2/44) Auf diese Weise führte die Wissenschaft zu einem Erklärungsnotstand, der kaum bemerkt wurde, da die Menschen zunehmend die Antworten der auf „wie?“ gestellten Fragen mit denen auf „warum?“ gestellten verwechselten (2/26). Die Wahrnehmung  des menschlichen Willens schwand immer mehr aus dem Bewußtsein der Bevölkerung und  die kausal denkende Vernunft setzte sich durch. Die Folge davon war, daß sich für die willensgesteuerte Machtelite riesige und für das Volk trotzdem kaum erkennbare Freiräume für ihre Willensentscheidungen eröffneten. Was die Mächtigen wollten, sahen die Regierten zunehmend als vernünftige Reaktionen auf  Sachzwänge – und waren eher bereit, deren Entscheidungen zu tolerieren.

Der Wechsel vom „warum“ zum „wie“ kommt dem Verzicht auf bzw dem Verlust einer  ganzen Dimension des Lebens gleich (s. 2/46). „Wie“ – Fragen bleiben der materiellen Ebene verhaftet; „warum“- Fragen richten sich auf eine geistige Dimension darüber. So entstand in den Köpfen der Menschen ein völlig materialistisches Weltbild, das aller geistigen Größen entbehrt. Es enthält weder Bewußtsein, noch ethische Werte, also nichts, was die analysierte, zerstückelte Welt zusammenhalten könnte.

Hirnforscher Wolf  Singer: „…alle Hirnleistungen – einschließlich der höchsten geistigen und psychischen Funktionen – (sind) auf die Wechselwirkungen  von Nervenzellen zurückzuführen, die den bekannten Gesetzen von Physik und Biochemie folgen.“ (5/68) Wer vermag schon der Physik zu widersprechen? Der auf diese Weise aller Selbstführung verlustig gegangene Mensch ist dann angewiesen auf äußere Regierung durch jene,  die sich von den o.g. „Zwängen“ der Naturgesetze nicht haben ihren WILLEN austreiben lassen.

Morris Berman schreibt: „Die mechanistische Philosophie und die Trennung zwischen Ding und Wert fanden ihren unmittelbaren Platz in den Richtlinien der Royal Society.“ Nach diesem Vorbild wurde die französische Akademie der Wissenschaften gegründet, und auch bei ihr „war der Begriff der wertfreien Wissenschaft Teil einer politischen und religiösen Kampagne zur Aufrechterhaltung der bestehenden gesellschaftlichen und kirchlichen Struktur Europas. … Die Durchschlagskraft der mechanistischen Weltauffassung  kann keinem ihr möglicherweise innewohnenden Sinn zugeschrieben werden, sondern ist (teilweise) das Ergebnis eines mächtigen Angriffs von Seiten der Politik und Religion auf die hermetische Tradition, ausgeführt von den herrschenden europäischen Eliten.“ (2/119,120)

„… Aber aus politischen Gründen sah es Newton als notwendig an, diesen Teil seiner Persönlichkeit und seiner Philosophie (okkulte, alchimistische Überzeugungen, ein Glied in der Kette der Magier zu sein (2/126)) zu unterdrücken und die nüchterne Fassade eines Positivisten zur Schau zu tragen. (2/125)

„Man könnte sagen, daß Europa, nachdem es die Newton’sche Sicht der Welt übernommen hatte, geschlossen den Verstand verlor.“ (2/129) *

Die ökonomische Elite hatte ihre Ziele erreicht: Sie hatte die Wissenschaft und Religion auf ihre Seite gebracht. Die Metaphysik ist aus den Köpfen der Menschen ausgetrieben; der Mensch ist vollständig im Diesseits gefangen, hat alle Maßstäbe und damit Kritikfähigkeit verloren und ist somit der ideale Sklave der Ökonomen – solange diese sie noch brauchen.

Es gibt keinen Dissens zwischen Wissenschaft und Ökonomie. Aber es gibt einen Dissens zwischen dem wissenschaftlich/ökonomische System  und der Lebenswelt des Menschen, bzw. mit dem Leben schlechthin. Das wissenschaftliche Theoriengebäude vom Lebewesen und vom Ökosystem ist falsch. (s. Fußn. S. 3)

Eine Wissenschaft, die dem lebendigen Menschen wirklich dient, müßte das Subjekt anerkennen. Es hat einmal eine solche subjektive Wissenschaft gegeben: die Alchemie, aber der Glaube, alles dem Moloch opfern zu müssen, hat sie zerstört. Mit anderen Worten: Die Wissenschaft, wie wir sie heute kennen, ist nicht etwa Konsequenz einer wertneutralen „Wahrheitssuche“, sondern Folge eines ökonomisch/politischen Willens. Die kommenden Katastrophen zeigen die Konsequenzen eines falschen Weltmodells, das uns zu falschen Taten brachte, auf. Die prinzipielle Falschheit des wissenschaftlich/ökonomischen Modells ergibt sich aus dem Fehlverständnis der Metaphysik.

6. Prognose:

Es ist offensichtlich, daß die heutige Wirtschaft 1. auf Geschwindigkeit, 2. auf Wachstum und 3. auf Spezialisierung setzt. Da unbegrenztes Wachstum nicht möglich ist, wird die Geschwindigkeitszunahme das Herankommen des Zusammenbruchs beschleunigen. Die exponentiell steigenden Staatsschulden, die unmöglich jemals zurückgezahlt werden können, werden durch ihre asymptotische Annäherung an Unendlich das Finanzsystem, dann das Wirtschaftssystem und dann das damit verbundene politische System zum Zusammenbruch führen, wenn nicht schleunigst die bewußtseinsprägende Macht des ökonomischen Systems zurückgedrängt wird. Das (beschränkte, reduzierende) ökonomische Denken setzt die „Sachzwänge“, die kreative Lösungen verhindern. Eine weitere Gefahr ist die der zunehmenden Arbeitsteilung, bzw des Spezialistentums. Der Einzelne verliert zunehmend den Überblick über das Weltganze mit der Folge, daß er nicht mehr wirklich weiß, was er tut. Die Arbeitsmotivation verflacht; das System, in das er eingebaut ist, wird instabil, da das Bewußtsein der Einzelnen verschwindet.

Die Wissenschaft müßte der Ökonomie Grenzen setzen – nicht umgekehrt!

7. Lösungsversuch

Man muß immer von sich selbst ausgehen. Der eigene Geist ist die einzige Singularität, zu der man unmittelbaren „Zugang“ hat. Von ihm aus erkundet man dann das Fremde,  indem man eine Zeitlang in das fremde Meer eintaucht und etwas von seiner Farbe übernimmt. Dies kann gelingen, indem man auch dicke Bücher nur langsam und in Gänze liest. Hat man dann Farbe von dem verehrten Werk angenommen, taucht man wieder auf und berichtet, wie man sich verändert hat.

Wenn ich anerkannt habe, daß jede Theorie aus einem Bereich kommt, der der empirischen Wissenschaft unzugänglich ist, und daß Wissenschaft beim ausschließlichen Verbleib innerhalb ihres eigenen Modells überhaupt nicht möglich ist, bleibt nur noch eines übrig: seinen Blick zu erheben und der Metaphysik zuzuwenden.

Die Welt des Menschen ist größer als die der Physik, denn sie kennt zwei Standpunkte: den eigenen (subjektiven) Standpunkt, und den ‚objektiven‘ Standpunkt, bei dem so getan wird, als ob jeder Punkt meiner Erscheinungswelt ein eigener Standpunkt wäre. Aus allen möglichen gleichwertigern subjektiven Standpunkten wird dann die objektive Welt herauskristallisiert – eine Welt „als ob“ (oder als ‚Schnittmenge‘ aus den subjektiven Welten) . Da in der objektiven Welt alle Punkte gleichwertig sind, bin ich in ihr ein unbedeutendes Staubkorn, das die riesige Welt nie verstehen kann. In der subjektiven Welt gilt das Gegenteil: Hier sind mir alle Informationen unmittelbar zugänglich. (7) Hier ist der metaphysische Ursprungsort der o.g. Theorien.

Quellen:

1) Bacon, Francis: Neues Organ der Wissenschaft, Buch 1, Aph. XCVIII.

2) Prof. Dr. Berman, Morris: Wiederverzauberung der Welt, deutsch 1985, rororo TB Nr. 7941

Prof. Dr. Berman unterrichtet Geschichte an der Universität Victoria

3) Sloterdijk, Peter: Kritik der zynischen Vernunft, 1983, Bd 1, edition suhrkamp, Nr. 1099

4) Ostermeyer, Herbert: Die bestrafte Gesellschaft, 1975, Hanser-Verlag

5) Bild der Wissenschaft Nr 7.97, S. 67

6) Alan Watts: Die Illusion des Ich, Goldmann-Tb.: 11384

Watts (1915-1973) war Mitbegründer der „Humanistisch-Psychologischen Bewegung“

7) Schopenhauer, Artur: „Die Welt als Wille und Vorstellung“

8) Vester, Frederic: Das vernetzte System

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